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Auswandern nach Uruguay

Auswandern nach Uruguay

Berlin: Freitag 26.04.24 14:15 | Montevideo: Freitag 26.04.24 09:15

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Amtsantritt der Regierung Mujica

Geschrieben von Manfred Burger   
Erstellt: Montag, 1. März 2010

Foto: Die Protagonisten des heutigen Tages und der kommenden fünf Jahre: José Mujica und Danilo Astori.Um 13 Uhr begannen heute die Festivitäten zur Amtseinführung von José "Pepe" Mujica, dem neuen Staatspräsidenten der Republik Östlich des Uruguay. Zum ersten Mal fand die Zeremonie am Fuß des Artigas-Denkmals auf der Plaza Independencia statt (s. El País v. 6. 2. 2010), und zum ersten Mal war dieser Tag zum nationalen Feiertag erklärt worden.

Allein schon das zeigt die Wichtigkeit, die dieser Angelegenheit hier beigemessen wird.

Foto: Die beiden Protagonisten des heutigen Tages: José Alberto Mujica Cordano (* 20. Mai 1935, Montevideo), der frischgebackene Staatspräsident Uruguays (rechts), und sein Vize, Danilo Ángel Astori Saragosa (* 23. April 1940, Montevideo), im ökologischen Elektroauto unterwegs zur Plaza Independencia, begleitet von tausenden von Sympathisanten.

Der ganze heutige Tag stand bzw. steht immer noch unter dem Stern dieses Ereignisses. Im Frühstücksfernsehen wurden vorab schon die Weine vorgestellt, die für die abschließende Gala mit Essen geordert worden waren, und es wurde über die Garderobe der anwesenden weiblichen Staatsgäste und Politikerinnen philosophiert.

Die Bühne, Publikumssitze und Pressetribüne für das Spektakel auf der Plaza Independencia waren schon Tage vorher aufgebaut worden. Nur Reporter, die sich formell akkreditiert hatten, waren zugelassen. Das Artigas-Mausoleum wurde flankiert von zwei Riesenbildschirmen zur Übertragung der Ereignisse.

Für die Feierlichkeiten hatten Privatunternehmen Geld beigesteuert, was von Gewerkschaftsführern des PIT-CNT (urug. Einheitsgewerkschaft) bemäkelt worden war mit dem Argument, so eine Aktivität sollte einzig und allein aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Mujica hatte darauf völlig verärgert geantwortet, er verkaufe sich nicht für 15.000 US-Dollar.

Insgesamt belaufen sich die Kosten für die Festlichkeiten der Amtsübergabe ("Transmisión de Mando") auf ca. 150.000 USD, die von Mujicas Partei "Espacio 609" bezahlt werden mit einem Teil der Gelder, die diese politische Gruppierung für die erhaltenen Wählerstimmen vom 25. Oktober 2009 bekam (s. Montevideo Comm v. 28. 1. 2010; s. Don 'Pepe' Presidente: Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Uruguay), sowie den erwähnten Spenden.

Viele Staatsgäste und erste bilaterale Gespräche

Als "Zeugen" anwesend waren Regierungschefs bzw. führende Politiker anderer Länder, u.a. Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien), Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Álvaro Uribe (Kolumbien, der als erster der Staatsgäste in Montevideo gelandet war), Alvaro Correa (Ecuador), Fernando Lugo (Paraguay) und Hugo Chavez (Venezuela). Außerdem waren Hillary Clinton präsent, die Mandatsträgerin des US State Department, und der Prinz von Spanien, Don Felipe de Marichalar y de Borbón. Die meisten dieser illustren Besucher waren im Fünf-Sterne-Hotel Radisson Montevideo an der Plaza Independencia untergebracht, wo auch die Zeremonie stattfand.

Die Regierungschefin von Chile, Michele Bachelet, konnte leider nicht erscheinen, da die Folgen des schweren Erdbebens vom Samstagmorgen ihre Anwesenheit in Santiago erforderlich machten. (In den am meisten betroffenen Gebieten wurde inzwischen der Notstand ausgerufen.)

Mujicas erster Staatsgast war Hillary Clinton, mit der er sich heute um 11.00 Uhr in einem Salon des Senats traf, noch bevor er offiziell überhaupt Präsident war. Mujica nutzte die Gelegenheit, um Frau Clinton eine Einladung für ihren Chef, Barack Obama, mit auf den Weg zu geben. Uruguay ist die erste Sation von Clintons erster Südamerika-Rundreise (auf der allerdings Argentinien nicht im Programm steht).

Danach folgte ein Treffen mit dem kolumbianischen Regierungschef Álvaro Uribe, der seinen Besuch in Montevideo dazu genutzt hatte, um praktisch ohne Leibwächter die Rambla entlang zu schlendern - etwas, was er in seinem Land nicht so einfach tun könnte.

Auch mit den meisten anderen angereisten Staatsgästen wird sich Mujica während ihres Aufenthalts separat treffen und die Gelegenheit zu einem direkten Gespräch nutzen.

An dem Treffen mit US-Außenministerin Clinton nahmen auch, neben Vertretern des Frente Amplio, namhafte Persönlichkeiten der Opposition teil: Luis Alberto Lacalle, Senator und Vorsitzender des Partido Nacional, Pedro Bordaberry, Senator und Vorsitzender des Partido Colorado, und Iván Posada, Abgeordneter des Partido Independiente.

Die Idee Repräsentanten der Opposition bei Staatsbesuchen mit einzubeziehen stammt übrigens von Bordaberry. Mujica griff sie auf, um damit ein Zeichen zu setzen für die Solidität des politischen Systems in Uruguay und für einen neuen Politikstil, was er auch schon bei seinem kürzlich gegebenen Mittagessen für 1.500 Unternehmer in Punta del Este so gehandhabt hatte (s. Multinationale Konzerne wollen stärker in Uruguay investieren).

Feierliche Akte im Parlament und auf der Plaza Independencia

Am frühen Nachmittag begannen dann die eigentlichen Zeremonien der Amtsübergabe. Um 13.45 Uhr waren die Abgeordneten beider Parlamentskammern vollzählig im "Palacio Legislativo" (Parlamentsgebäude) versammelt. Die "Asamblea General" (Generalversammlung) war bereit ihre Sondersitzung zu beginnen. Vor dem Parlament, auf den wunderschönen Stufen dieses Gebäudes, wartete Mujicas Frau, Lucía Topolansky, in ihrer Funktion als Interims-Senatspräsidentin und Vorsitzende der Generalversammlung (da sie die Abgeordnete mit den meisten erhaltenen Wählerstimmen ist) in einem rosa Kostüm auf ihren Mann, José Mujica, und Danilo Astori. Begleitet wurde sie von Ivonne Passada, der Präsidentin des Repräsentantenhauses ("Cámara de Diputados"; s. Große Fiesta: Das neue uruguayische Parlament nahm seine Arbeit auf).

Um 14.00 Uhr betraten Mujica und Astori die Generalversammlung. Der Chor der Staatsoper intonierte die Nationalhymne.

Um 14.07 Uhr sprach José Mujica die Worte: "Ich, José Alberto Mujica Cordano, verpflichte mich bei meiner Ehre das Amt, das mir übertragen wurde, loyal auszuüben und die Verfassung der Republik zu bewahren und zu verteidigen."

Mit diesem Schwur, der kein Schwur auf die Bibel, sondern ein ziviles Versprechen auf die Verfassung war, wurde José Mujica um 14.14 Uhr zum 52. Staatspräsidenten Uruguays (und zum gegenwärtig ältesten Staatspräsidenten des amerikanischen Kontinents).

Foto: José Mujica nach seinem Schwur als 52. Präsident der Republik Östlich des Uruguay, mit seiner Frau, der Senatspräsidentin Lucía Topolansky.

Foto: Wer hätte sich das vor wenigen Jahren vorstellen können?

José Mujica, Ex-Guerrilla-Führer und Chef der Tupamaros, der während seiner aktiven Zeit in der uruguayischen Stadtguerrilla sechs Schüsse abbekam, von denen mehrere Kugeln nach wie vor in seinem Leib stecken, der viermal verhaftet wurde, zweimal aus dem Gefängnis fliehen konnte und insgesamt 14 Jahre in Haft verbrachte, die meisten davon als "Staatsgeisel" unter unmenschlichsten Bedingungen, wurde heute zum 52. Staatspräsidenten Uruguays. Und nicht nur das: Er ist der uruguayische Präsident, der die meisten Wählerstimmen in der Geschichte des Landes erhalten hat.

Sein Amtseid wurde ihm von seiner Frau abgenommen in ihrer Funktion als Ehrenpräsidentin der beiden Parlamentskammern ("Asamblea General"), wie Mujica ein ehemaliges Mitglied der Tupamaros und genauso lange wie Mujica inhaftiert. Zweifellos war heute ein großer Tag für das Ehepaar Mujica...

Nach Mujica wurde sein Vize vereidigt, Danilo Astori. Gegen 15.00 Uhr war dann die Sondersitzung des Parlaments zu Ende.

Um 15.45 Uhr begann die Fahrt des neuen Staats- und Regierungschefs und seines Vizes vom Parlamentsgebäude zur Plaza Independencia, wo die zweite Phase der Amtsübernahme vorgesehen war: die Übergabe der Präsidentenschärpe durch Amtsvorgänger Tabaré Vázquez und die Vereidigung des Kabinetts und der übrigen Regierungsmitglieder. Die Reise erfolgte in einem von uruguayischen Ingenieuren gebauten und patentierten Elektroauto (Reichweite: 100 km) - eine symbolische Geste in Sachen Umweltschutz.

Alles verlief im Schritt-Tempo bzw. noch langsamer. Die vom Parlament in die City führende Avenida Libertador war dicht gesäumt von applaudierenden Menschen. Die letzten Blocks über die Avenida 18 de Julio legten Mujica und Astori zu Fuß zurück, wobei sie sichtlich ihr Bad in der Menge genossen.

Kurz vor 16.30 Uhr kam die Karawane dann an der Plaza Independencia an. Zuerst begrüßte Mujica den Kommandierenden der anwesenden Garde - ebenfalls eine symbolische Geste, hatte er doch kurz zuvor eine Solderhöhung für Militärs und Polizisten versprochen.

Um 16.38 Uhr unterzeichneten Tabaré Vázquez und José Mujica die Amtsübergabe, und eine Minute später legte der scheidende Präsident seinem Nachfolger die Präsidentenschärpe um. Danach wurden auch die Minister und anderen Mitglieder der neuen Regierung vereidigt.

Musikveranstaltung und Gala

Um 20.30 Uhr wird ein Musikspetakel auf der auf der Plaza Independencia aufgebauten Bühne beginnen mit den beliebten uruguayischen Künstlern bzw. Gruppen Los Olimareños, Daniel Viglietti, dem Duo Larbanois­ & Carrero und der Murga Agarrate Catalina.

Ab 21.00 Uhr findet ein großes Banquett für die ausländischen Delegationen im Latu (Montevideo-Carrasco) statt, nur mit uruguayischen Lebensmitteln und Köstlichkeiten - eine geschickte Werbung für den Import uruguayischer Produkte.

Foto: Claudia Hugo, Danilo Astori, José Mujica, Tabaré Vázquez und Lucía Topolansky am 30. 11. 2009 im Hotel NH Colombia, Montevideo, nach dem Wahlsieg von José Mujica und dem Frente Amplio.

Foto (v.l.n.r.): Claudia Hugo (Frau von Danilo Astori), Danilo Astori, José Mujica, Tabaré Vázquez und Lucía Topolansky am 30. 11. 2009 im Hotel NH Colombia, Montevideo, nach dem Wahlsieg von Mujica / Astori und dem Frente Amplio.

Nur wenige kritische Stimmen

Das ganze Land befindet sich aktuell in einer Art Mujica-Delirium. Stimmen der Opposition sind derzeit kaum zu hören.

Eine der wenigen Kritiken der letzten Tage kam aus den Reihen des eigenen politischen Bündnisses, und zwar von Daniel Martínez von der Sozialistischen Partei (Espacio 90), dem von Mujica und Astori ausgebremsten Frente-Amplio-Kandidaten für das Erste Bürgermeisteramt von Montevideo. Am 18. Februar sprach Martínez auf einer Pressekonferenz von "stalinistischen Methoden" innerhalb des Frente, gemäß denen jemand, der ein bischen anders denkt, als "Feind" eingestuft wird. Einige seiner politischen Freunde, gewählte Parlamentarier, erklärten ihren Verzicht auf ihre Mandate (s. Landtagswahlen 2010: Wer wird Erster Bürgermeister (Intendente) von Montevideo? und  Überraschungskandidatin des Frente Amplio für das Erste Bürgermeisteramt (Intendente) von Montevideo).

Wahlkampfversprechen und Aufgaben

Don Pepe wird auf sein Präsidentengehalt verzichten, wie er bereits vor den Wahlen vom vergangenen Oktober angekündigt hatte, und weiterhin in seiner Chacra in Rincón del Cerro am Stadtrand von Montevideo wohnen bleiben, wo er gerne als Hobbylandwirt arbeitet. Damit setzt er die von seinem Vorgänger Vázquez begonnene Tradition fort, der ebenfalls nicht in die Präsidentenvilla im Stadtviertel Prado umgezogen war, sondern in seinem Haus wohnen blieb (s. Bilanz der Regierung Tabaré Vázquez I: Ein anderer Politikstil).

Ungeachtet solcher netten Gesten wird es die wichtigste Aufgabe der neuen Regierung sein die Wirtschaft noch mehr anzukurbeln und noch mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Mujicas Vize, Daniel Astori, hat während des Wahlkampfes 200.000 neue Arbeitsplätze verprochen (s. Wahlkampf in Uruguay: Astori verspricht 200.000 neue Arbeitsplätze), und an der Erfüllung dieses Versprechens wird diese Regierung gemessen werden.

Dazu müssen die Bedingungen für Investoren verbessert und die für Arbeitgeber nachteilige Arbeitsgesetzgebung gelockert werden.

Auch an sein Wahlkampfversprechen, das uruguayische Bankgeheimnis nicht anzutasten, sei Herr Astori bei dieser Gelegenheit gerne erinnert (s. Astori: Das uruguayische Bankgeheimnis wird nicht angetastet!).

Bewegendes Adiós von Tabaré Vázquez

Tabaré Vázquez hat sich gestern schon mit einem Akt auf der Plaza Independencia verabschiedet, unter massiver Publikumsteilnahme, mit Militärkapeklle und Aufmarsch. Der sichtlich bewegte Vázquez bekam offiziell eine uruguayische Flagge überreicht, die in seinem Besitz bleiben wird, solange er lebt. Auch das ein Novum...

Beim Regierungsantritt hatte der erste Regierungschef des Frente Amplio die Uruguayer darum gebeten, ihn nicht alleine zu lassen. Jetzt bedankte er sich für die erhaltene Unterstützung mit den aus dem Herzen kommenden Worten: "Danke, Uruguayer, von Herzen, vielen Dank!" ("Gracias, Uruguayos, de corazón, muchas gracias!"). Danach brachen die Beifallsstürme los.

Nach seiner letzten Rede als Präsident konnte sich Vázquez kaum zurückziehen, so sehr bedrängten ihn Publikum und Journalisten.

Foto: Tabaré Vázquez bei seinem Abschied, mit der uruguayischen Flagge.

Foto: Tabaré Vázquez bei seinem gestrigen Abschied auf der Plaza Independencia, mit der ihm verehrten uruguayischen Flagge (zusammengefaltet).


Weiterführende Links in diesem Uruguay-Magazin:


Stand: 19.46 Uhr (Ortszeit)

 


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