Um 13 Uhr begannen heute die Festivitäten zur Amtseinführung von José "Pepe" Mujica, dem neuen Staatspräsidenten der Republik Östlich des Uruguay. Zum ersten Mal fand die Zeremonie am Fuß des Artigas-Denkmals auf der Plaza Independencia statt (s. El País v. 6. 2. 2010), und zum ersten Mal war dieser Tag zum nationalen Feiertag erklärt worden.
Allein schon das zeigt die Wichtigkeit, die dieser Angelegenheit hier beigemessen wird.
Foto: Die beiden Protagonisten des heutigen Tages: José Alberto Mujica Cordano (* 20. Mai 1935, Montevideo), der frischgebackene Staatspräsident Uruguays (rechts), und sein Vize, Danilo Ángel Astori Saragosa (* 23. April 1940, Montevideo), im ökologischen Elektroauto unterwegs zur Plaza Independencia, begleitet von tausenden von Sympathisanten.
Der ganze heutige Tag stand bzw. steht immer noch unter dem Stern
dieses Ereignisses. Im Frühstücksfernsehen wurden vorab schon die Weine
vorgestellt, die für die
abschließende Gala mit Essen geordert worden waren, und es wurde über die
Garderobe der
anwesenden weiblichen Staatsgäste und Politikerinnen philosophiert.
Die Bühne, Publikumssitze und
Pressetribüne für das Spektakel auf der Plaza Independencia waren schon Tage vorher aufgebaut
worden. Nur Reporter, die sich formell akkreditiert hatten, waren
zugelassen. Das Artigas-Mausoleum wurde flankiert von zwei Riesenbildschirmen zur Übertragung der Ereignisse.
Für die Feierlichkeiten hatten
Privatunternehmen Geld beigesteuert, was von Gewerkschaftsführern des
PIT-CNT (urug. Einheitsgewerkschaft) bemäkelt worden war mit dem Argument, so
eine Aktivität sollte einzig und allein aus öffentlichen Geldern
finanziert werden. Mujica hatte darauf völlig verärgert geantwortet,
er verkaufe sich nicht für 15.000 US-Dollar.
Insgesamt belaufen sich die Kosten für die Festlichkeiten der
Amtsübergabe ("Transmisión de Mando") auf ca. 150.000 USD, die von
Mujicas Partei "Espacio 609" bezahlt werden mit einem Teil der Gelder,
die diese politische Gruppierung für die erhaltenen Wählerstimmen vom
25. Oktober 2009 bekam (s. Montevideo Comm
v. 28. 1. 2010; s. Don 'Pepe' Presidente: Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Uruguay), sowie den erwähnten Spenden.
Viele Staatsgäste und erste bilaterale Gespräche
Als "Zeugen" anwesend waren Regierungschefs bzw. führende Politiker
anderer Länder, u.a. Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien), Luiz
Inácio Lula da Silva (Brasilien), Álvaro Uribe (Kolumbien, der als
erster der Staatsgäste in Montevideo gelandet war), Alvaro Correa
(Ecuador), Fernando Lugo (Paraguay) und Hugo Chavez (Venezuela). Außerdem
waren Hillary Clinton präsent, die Mandatsträgerin des US State
Department, und der Prinz von Spanien, Don
Felipe de Marichalar y de Borbón. Die meisten dieser illustren Besucher waren im
Fünf-Sterne-Hotel Radisson Montevideo an der Plaza Independencia untergebracht, wo
auch die Zeremonie stattfand.
Die Regierungschefin von Chile, Michele Bachelet, konnte leider nicht erscheinen, da die Folgen des schweren
Erdbebens vom Samstagmorgen ihre Anwesenheit in Santiago erforderlich machten.
(In den am meisten betroffenen Gebieten wurde inzwischen der Notstand ausgerufen.)
Mujicas erster Staatsgast war Hillary Clinton, mit der er sich heute um
11.00 Uhr in einem Salon des Senats traf, noch bevor er offiziell
überhaupt Präsident war. Mujica nutzte die Gelegenheit, um Frau Clinton
eine Einladung für ihren Chef, Barack Obama, mit auf den Weg zu geben.
Uruguay ist die erste Sation von Clintons erster Südamerika-Rundreise (auf der allerdings Argentinien nicht im Programm steht).
Danach folgte ein Treffen mit dem kolumbianischen Regierungschef Álvaro Uribe, der seinen Besuch in Montevideo dazu genutzt hatte, um praktisch
ohne Leibwächter die Rambla entlang zu schlendern - etwas, was er in
seinem Land nicht so einfach tun könnte.
Auch mit den meisten anderen angereisten Staatsgästen wird sich
Mujica während ihres Aufenthalts separat treffen und die Gelegenheit zu einem direkten Gespräch
nutzen.
An dem Treffen mit US-Außenministerin Clinton nahmen auch, neben
Vertretern des Frente Amplio, namhafte Persönlichkeiten der
Opposition teil: Luis Alberto Lacalle, Senator und Vorsitzender des
Partido Nacional, Pedro Bordaberry, Senator und Vorsitzender des
Partido Colorado, und Iván Posada, Abgeordneter des Partido
Independiente.
Die Idee Repräsentanten der
Opposition bei Staatsbesuchen mit einzubeziehen stammt übrigens von Bordaberry. Mujica griff sie auf, um damit ein Zeichen zu setzen für die Solidität des politischen Systems in Uruguay und für einen neuen Politikstil, was er auch schon bei seinem kürzlich gegebenen Mittagessen für 1.500
Unternehmer in Punta del Este so gehandhabt hatte (s. Multinationale Konzerne wollen stärker in Uruguay investieren).
Feierliche Akte im Parlament und auf der Plaza Independencia
Am frühen Nachmittag begannen dann die eigentlichen Zeremonien der
Amtsübergabe. Um 13.45 Uhr waren die Abgeordneten beider
Parlamentskammern vollzählig im "Palacio Legislativo"
(Parlamentsgebäude) versammelt. Die "Asamblea General"
(Generalversammlung) war bereit ihre Sondersitzung zu beginnen. Vor dem
Parlament, auf den wunderschönen Stufen dieses Gebäudes, wartete
Mujicas Frau, Lucía Topolansky, in ihrer Funktion als
Interims-Senatspräsidentin und Vorsitzende der Generalversammlung (da
sie die Abgeordnete mit den meisten erhaltenen Wählerstimmen ist) in
einem rosa Kostüm auf ihren Mann, José Mujica, und Danilo Astori. Begleitet wurde sie von Ivonne
Passada, der Präsidentin des Repräsentantenhauses ("Cámara de
Diputados"; s. Große Fiesta: Das neue uruguayische Parlament nahm seine Arbeit auf).
Um 14.00 Uhr betraten Mujica und Astori die Generalversammlung. Der Chor der Staatsoper intonierte die Nationalhymne.
Um 14.07 Uhr sprach José Mujica die Worte: "Ich, José Alberto Mujica
Cordano, verpflichte mich bei meiner Ehre das Amt, das mir übertragen
wurde, loyal auszuüben und die Verfassung der Republik zu bewahren und
zu verteidigen."
Mit diesem Schwur, der kein Schwur auf die Bibel, sondern ein
ziviles Versprechen auf die Verfassung war, wurde José Mujica um 14.14
Uhr zum 52. Staatspräsidenten Uruguays (und zum gegenwärtig ältesten Staatspräsidenten
des amerikanischen
Kontinents).
Foto: Wer hätte sich das vor wenigen Jahren vorstellen können?
José Mujica, Ex-Guerrilla-Führer und Chef der
Tupamaros, der während seiner aktiven Zeit in der uruguayischen
Stadtguerrilla sechs Schüsse abbekam, von denen mehrere Kugeln nach wie
vor in seinem Leib stecken, der viermal verhaftet wurde, zweimal aus
dem Gefängnis fliehen konnte und insgesamt 14 Jahre in Haft verbrachte,
die meisten davon als "Staatsgeisel" unter unmenschlichsten
Bedingungen, wurde heute zum 52. Staatspräsidenten Uruguays. Und nicht nur das: Er ist der uruguayische Präsident, der die meisten Wählerstimmen in der Geschichte des Landes erhalten hat.
Sein Amtseid wurde ihm von seiner Frau
abgenommen in ihrer Funktion als Ehrenpräsidentin der beiden
Parlamentskammern ("Asamblea General"), wie Mujica ein ehemaliges
Mitglied der Tupamaros und genauso lange wie Mujica inhaftiert.
Zweifellos war heute ein großer Tag für das Ehepaar Mujica...
Nach Mujica wurde sein Vize vereidigt, Danilo Astori. Gegen 15.00 Uhr war dann die Sondersitzung des Parlaments zu Ende.
Um 15.45 Uhr begann die Fahrt des neuen Staats- und Regierungschefs und
seines Vizes vom Parlamentsgebäude zur Plaza Independencia, wo die
zweite Phase der Amtsübernahme vorgesehen war: die Übergabe der
Präsidentenschärpe durch Amtsvorgänger Tabaré Vázquez und die
Vereidigung des Kabinetts und der übrigen Regierungsmitglieder. Die
Reise erfolgte in einem von uruguayischen
Ingenieuren gebauten und patentierten Elektroauto (Reichweite: 100 km) - eine symbolische Geste in Sachen Umweltschutz.
Alles verlief im Schritt-Tempo bzw. noch langsamer. Die vom Parlament
in die City führende Avenida Libertador war dicht gesäumt von
applaudierenden Menschen. Die letzten Blocks über die Avenida 18 de
Julio legten Mujica und Astori zu Fuß zurück, wobei sie sichtlich ihr
Bad in der Menge genossen.
Kurz vor 16.30 Uhr kam die Karawane dann an der Plaza Independencia an.
Zuerst begrüßte Mujica den Kommandierenden der anwesenden Garde -
ebenfalls eine symbolische Geste, hatte er doch kurz zuvor eine
Solderhöhung für Militärs und Polizisten versprochen.
Um 16.38 Uhr unterzeichneten Tabaré Vázquez und José Mujica die
Amtsübergabe, und eine Minute später legte der scheidende Präsident
seinem Nachfolger die Präsidentenschärpe um. Danach wurden auch die Minister und anderen Mitglieder der neuen Regierung vereidigt.
Musikveranstaltung und Gala
Um 20.30 Uhr wird ein Musikspetakel auf der auf der Plaza
Independencia aufgebauten Bühne beginnen mit den beliebten
uruguayischen Künstlern bzw. Gruppen Los Olimareños, Daniel Viglietti,
dem Duo Larbanois & Carrero und der Murga Agarrate Catalina.
Ab 21.00 Uhr findet ein großes Banquett für die ausländischen Delegationen im Latu (Montevideo-Carrasco) statt, nur mit uruguayischen
Lebensmitteln und Köstlichkeiten - eine geschickte Werbung für den Import uruguayischer Produkte.
Foto (v.l.n.r.): Claudia Hugo (Frau von Danilo
Astori), Danilo Astori, José Mujica, Tabaré Vázquez und Lucía
Topolansky am 30. 11. 2009 im Hotel NH Colombia, Montevideo, nach dem
Wahlsieg von Mujica / Astori und dem Frente Amplio.
Nur wenige kritische Stimmen
Das ganze Land befindet sich aktuell in einer Art Mujica-Delirium.
Stimmen der Opposition sind derzeit kaum zu hören.
Eine der wenigen
Kritiken der letzten Tage kam aus den Reihen des eigenen politischen
Bündnisses, und zwar von Daniel Martínez von der Sozialistischen Partei
(Espacio 90), dem von Mujica und Astori ausgebremsten Frente-Amplio-Kandidaten für das
Erste Bürgermeisteramt von Montevideo. Am 18. Februar sprach Martínez
auf einer Pressekonferenz von
"stalinistischen Methoden" innerhalb des Frente, gemäß denen
jemand, der
ein bischen anders denkt, als "Feind" eingestuft wird. Einige
seiner politischen Freunde, gewählte Parlamentarier, erklärten ihren
Verzicht auf ihre
Mandate (s. Landtagswahlen 2010: Wer wird Erster Bürgermeister (Intendente) von Montevideo? und
Überraschungskandidatin des Frente Amplio für das Erste Bürgermeisteramt (Intendente) von Montevideo).
Wahlkampfversprechen und Aufgaben
Don Pepe wird auf sein
Präsidentengehalt verzichten, wie er bereits vor den Wahlen vom
vergangenen Oktober angekündigt hatte, und weiterhin in seiner Chacra
in Rincón del Cerro am Stadtrand von Montevideo wohnen bleiben, wo er
gerne als Hobbylandwirt arbeitet. Damit setzt er
die von seinem Vorgänger Vázquez begonnene Tradition fort, der
ebenfalls nicht in die Präsidentenvilla im Stadtviertel Prado umgezogen war,
sondern in seinem Haus
wohnen blieb (s. Bilanz der Regierung Tabaré Vázquez I: Ein anderer Politikstil).
Ungeachtet solcher netten Gesten wird es die wichtigste Aufgabe der neuen
Regierung sein die Wirtschaft noch mehr anzukurbeln und noch mehr
Arbeitsplätze zu schaffen. Mujicas Vize, Daniel Astori, hat während des
Wahlkampfes 200.000 neue Arbeitsplätze verprochen (s. Wahlkampf in Uruguay: Astori verspricht 200.000 neue Arbeitsplätze),
und an der Erfüllung dieses Versprechens wird diese Regierung gemessen werden.
Dazu müssen die Bedingungen für Investoren verbessert und die für
Arbeitgeber nachteilige Arbeitsgesetzgebung gelockert werden.
Auch an sein Wahlkampfversprechen, das uruguayische Bankgeheimnis nicht
anzutasten, sei Herr Astori bei dieser Gelegenheit gerne erinnert (s. Astori: Das uruguayische Bankgeheimnis wird nicht angetastet!).
Bewegendes Adiós von Tabaré Vázquez
Tabaré Vázquez hat sich gestern schon mit einem Akt auf der Plaza
Independencia verabschiedet, unter massiver Publikumsteilnahme, mit
Militärkapeklle und Aufmarsch. Der sichtlich bewegte Vázquez bekam
offiziell eine uruguayische Flagge überreicht, die in seinem Besitz
bleiben wird, solange er lebt. Auch das ein Novum...
Beim Regierungsantritt hatte der erste Regierungschef des Frente
Amplio die Uruguayer darum gebeten, ihn
nicht alleine zu lassen. Jetzt bedankte er sich für die erhaltene
Unterstützung mit den aus dem Herzen kommenden Worten: "Danke, Uruguayer,
von Herzen, vielen Dank!" ("Gracias, Uruguayos, de corazón, muchas
gracias!"). Danach
brachen die Beifallsstürme los.
Nach seiner letzten Rede als Präsident
konnte sich Vázquez
kaum zurückziehen, so sehr bedrängten ihn Publikum und Journalisten.
Foto: Tabaré Vázquez bei seinem
gestrigen Abschied auf der Plaza Independencia, mit der ihm verehrten uruguayischen Flagge (zusammengefaltet).
Weiterführende Links in diesem Uruguay-Magazin:
Stand: 19.46 Uhr (Ortszeit)
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