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Auswandern nach Uruguay

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Villanueva Saravia: Vom plötzlichen Tod eines Erneuerers der Blanco-Partei

Geschrieben von Manfred Burger   
Erstellt: Donnerstag, 29. Oktober 2009

Er war DER aufstrebende Mann und Hoffnungsträger des Partido Nacional. In den Direktoriumssitzungen seiner Partei trat er auf wie ein Tornado und sprang mit den Altvorderen und Honoratioren der Blanco-Partei um, wie es ihm beliebte. Alle, Freund wie Feind, waren sich sicher, daß er wegen seines Charismas, seiner Willenskraft und seiner unerschöpflich erscheinenden Energie Präsident aller Uruguayer werden würde, und zwar bald, vielleicht schon durch die nächsten Wahlen?

Und dann, im Morgengrauen des 12. August 1998, bereitete Villanueva Saravia Pinto so mir nichts, Dir nichts, wie aus heiterem Himmel, seinem Leben ein Ende, nachdem er am Abend davor noch gutgelaunt an einer Geburtstagsfeier teilgenommen hatte. Der Linkshänder schoß sich mit der rechten Hand in die Schläfe... Seine junge Frau war hochschwanger und gebar nur drei Tage später eine gemeinsame Tochter...

Eine klare Selbstmordsituation, finden Sie nicht? Eine strahlende Zukunft, eine hochschwangere Frau und eine zum Bersten gute Laune...

Der "Villa": Streibar und umstritten

"Ich bin nicht bereit die Länge meiner Zunge von einem Staatsanwalt oder Richter messen zu lassen. Meine Haltungen werden von den Leuten bewertet, wenn sie wählen."

"No estoy dispuesto a que el largo de mi lengua me la mida un fiscal o un juez. Mis actitudes las juzga la gente cuando vota."

Villanueva Saravia Pinto

Foto: Villanueva Saravia Pinto, Uruguay.Villanueva Saravia Pinto (* 16. 9. 1964, † 12. 8. 1998) war eine streitbare Persönlichkeit und wie alle Menschen seines Kalibers umstritten. Nur in einem waren sich Freunde und Feinde einig: Er wäre mal, und zwar bald, Präsident Uruguays geworden.

"Er war mit einer außergewöhnlichen Tatkraft und Durchsetzungsvermögen ausgestattet, einer außergewöhnlichen Vitalität und Stärke, die eine außergewöhnliche Anziehung selbst auf seine Gegner ausübten, auch mit sehr negativen Aspekten. Persönlichkeiten wie ihn gibt es nur wenige in jeder Generation", schrieb der preisgekrönte uruguayische Autor Antonio Larreta (*1922) in seiner Saravia-Biografie "A Todo Trapo" (1999), deren Titel man mit "Mit Vollgas" oder "Mit vollen Segeln" übersetzen könnte.

Der Autor fügte aber auch hinzu: "Was er für sein Land getan hätte [wäre er Präsident geworden], ist eine andere Geschichte. Wir werden es nie erfahren." Hier schwingt Erleichterung mit, meint man, daß man es nicht erfahren mußte...

"Mit Vollgas" – so war das kurze Leben des jungen Politstars aus dem nordöstlichen uruguayischen Departamento Cerro Largo tatsächlich verlaufen, nicht nur weil er gerne mit 200 Sachen über die Autopista von Melo, der Bezirkshauptstadt Cerro Largos, nach Montevideo raste.

Der Urenkel des Blanco-Caudillos Aparicio Saravia war ein geborener Politiker und Machtmensch. "Schon mit 17 wollte ich ganz oben mitmischen", bekannte Villanueva Saravia als frischgebackener Ministerpräsident ("Intendente") von Cerro Largo in einem Interview mit César di Candia in der renommierten, den Blancos nahestehenden Wochenzeitung "Búsqueda" (Búsqueda Nº 807, 1995).

Im Juni 1982 verließ Saravia die Militärschule ("Liceo Militar") in Minas, nachdem er 21 Tage verschärften Arrests abgebrummt hatte, den er sich wegen seiner rebellischen Art zugezogen hatte, und begann seine politische Laufbahn, mit nur 17 Jahren. Obwohl er nach eigenem Bekunden Sympathien für den damaligen fortschrittlichen Parteiführer (im Exil) hatte, Wilson Ferreira Aldunate, tat er dies in den Reihen des "Herrerismo", der Parteiströmung um Luis Alberto Lacalle, in der er mehr politische Zukunft sah.

Zunächst arbeitete er in Cerro Largo für den damaligen Intendenten, Juan José Burgos, und zwar für die Kandidatur von Juan Carlos Paysée und Cristina Maeso. Im Jahr darauf folgte er Paysée in's Rathaus ("Intendencia") von Montevideo, wo Saravia auch sein Jurastudium begann.

Er begann regelmäßig die Parteizentrale der Blancos zu besuchen. 1983 wurde Saravia außerdem zum Vorsitzenden der "Juventud Herrerista" gewählt, der Jugendorganisation der Parteiströmung um Luis Alberto Lacalle, und er heiratete zum ersten Mal, noch im zarten Alter von 18 Jahren, Rosario Delgado, die ihm 1986 seine erste Tochter gebar: María Victoria Saravia Delgado. (1989 wurde das Paar geschieden.)

Von 1984 bis 1989 arbeitete Saravia als Abgeordneter des Landesparlaments ("Convencional Departamental") für Cerro Largo. Mit 22 kehrte er 1987 nach Melo zurück, um dort seine eigene Kampagne für die nationalen Wahlen von 1989 vorzubereiten. Seine erste öffentliche Rede hielt er in Tres Boliches, Cerro Largo. Er wollte als Abgeordneter ("Diputado") in's Repräsentantenhaus gewählt werden - ein Ziel, das er damals letzlich nur um 500 Stimmen verfehlte.

Dennoch war dieser erste Anlauf ein Riesenerfolg, nicht nur wegen seines jungen Alters: Saravia wurde der meistgewählte Kandidat seines Departamentos.

1990 stieg er mit nur 25 Jahren in das höchste Parteigremium ("Directorio") der Blancos auf und wurde unter der Regierung Lacalle (3/1990 - 2/1995) im September 1990 Vizepräsident des staatlichen Wasserwerks OSE, protegiert vom damaligen Vizepräsidenten Gonzalo Aguirre. 1991 avancierte Villanueva Saravia zum Generalsekretär von Aguirres Parteiströmung "Renovación y Victoria".

Doch all das war dem "Villa" Saravia bei weitem nicht genug. Er wollte nach ganz oben, wechselte seine Strömungszugehörigkeit je nach Konvenienz (von Luis Alberto Lacalle zu Gonzalo Aguirre und von diesem später zu Alberto Volonté). Ohne Rücksicht auf Verluste legte er sich mit Parteigrößen an, die er auf seinem Weg nach oben ausboten oder zu Verbündeten machen mußte. "Wie ein Tornado fuhr er dazwischen und wirbelte das Blanco-Direktorium durcheinander", so ein Beobachter.

Ab 1992 führte er eine neue Kampagne für die Wahlen 1994. In jenem Jahr, 1994, erreichte er seine nächsten Etappenziele: Unter dem Motto "Cerro Largo kann, denn seine Menschen wollen" ("Cerro Largo puede, porque su gente quiere") gewann er die Departamentswahlen in Cerro Largo und zog am 15. Februar 1995 mit 30 Jahren als jüngster Ministerpräsident Uruguays in die Bezirkshauptstadt Melo ein, seine vor 200 Jahren (1795) von den Spaniern gegründete Geburtstadt. Außerdem war er ab 1995 auch Parlamentarier auf Bundesebene und Führer der fortschrittlichen, anti-neoliberalen "Lista 58" des "Movimiento Herrerista" innerhalb der Blancos.

Sein Departamento führte er so gut, daß Cerro Largo in vielerlei Hinsicht zum Muster-Bundesland Uruguays wurde (bis zu seinem Tod). Doch sein nächstes Ziel war der Ausbau seines politischen Gewichts auf nationaler Ebene. Das formulierte er auch ganz klar in der bereits erwähnten Reportage von César di Candia: "Dies wird meine einzige Amtszeit [als Intendente von Cerro Largo] sein. Ich werde das nicht wiederholen (...). Ich möchte unser politisches System auf nationaler Ebene revitalisieren und modernisieren." (Búsqueda Nº 807, 1995)

Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen waren für den 31. Oktober 1999 angesetzt. Im Juli/August 1998 lagen die drei innerparteilichen Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der Blancos -Ex-Präsident Luis Alberto Lacalle, Alberto Volonté (der damalige Parteichef) und Juan Andrés Ramírez- ziemlich gleichauf. Saravia war inzwischen zu "Manos a la Obra" von Alberto Volonté übergewechselt.

Villanueva Saravias plötzlicher Tod

"Hier wird nichts passieren. Wir alle mögen unseren Haß, Wut und Leidenschaften haben, aber ich denke nicht, daß jemand unsere Differenzen dadurch zu lösen gedenkt, daß er einen Killer aus Brasilien anheuert, um mich umzubringen."

Villanueva Saravia am 25. 6. 1998 in einem Interview mit "Búsqueda", rund 7 Wochen vor seinem Tod.

Am 12. August 1998, kurz nach Mittag, wurde der Intendente des Grenz-Departamentos Cerro Largo, Villanueva Saravia Pinto (33), von seiner Sekretärin und zwei Verwaltungsangestellten tot im Bett seines Schlafzimmers aufgefunden. Ein Kopfschuß aus einer Magnum in die rechte Schläfe hatte sein Leben beendet, die Waffe wurde am Ort des Geschehens sichergestellt.

Die drei Angestellten waren zu dem 2 km vor Melo liegenden Haus des Minsterpräsidenten in der Calle Justino Muniz Nº 5 gefahren, nachdem seine Sekretärin den ganzen Vormittag erfoglos versucht hatte ihren Chef anzurufen. Als Todeszeit wurden die Stunden zwischen zwei und sechs Uhr morgens ermittelt.

Noch am Abend desselben Tages erklärte die Polizei, die Todesursache sei zu 100% Selbstmord. Und schon am nächsten Tag, um die Mittagszeit des 13. August, wurde Villanueva Saravia auf dem Friedhof von Melo beigesetzt.

Mord oder Selbstmord?

"Mit seinem ungestümen Charakter maß Villanueva Saravia weder die Größe noch die Macht seiner Gegner. Luis Alberto Lacalle, Abgeordnete, Richter, Staatsanwälte und Angehörige wurden von ihm in Frage gestellt."

Raúl Ronzoni in einem Nachruf auf Villanueva Saravia ("Búsqueda" v. 13. 8. 1998).

Warum diese Eile? Nicht wenige kreideten der Polizei laxe Ermittlungen an. Der damalige Parteichef der Blancos, Alberto Volonté, hielt am Grab eine flammende Rede mit dem Tenor, Villanueva Saravia sei ein "Held", der sich nicht selbst umgebracht habe. Saravias Witwe, Verónica Bejérez, sekundierte unter Tränen: "Nein, nein, er [ihr Mann] hat es nicht [selbst] gemacht... Sie haben Dir das Leben entrissen!" ("Te arrancaron la vida!"), während Vater Diego Saravia gegenüber der Presse erklärte: "Es handelt sich nicht um Suizid, mein Sohn wurde umgebracht."

Das glaubt auch die Mehrheit der uruguayischen Bevölkerung. In einer repräsentativen Umfrage des angesehenen Meinungsforschungsinstituts Cifra, wenige Tage nach dem Vorfall, erklärten 56% der Befragten (in Montevideo sogar 64%) Saravia sei ermordet worden. Die Blanco-Sympathisanten zeigten sich davon genauso überzeugt wie die Anhänger anderer Parteien. Die Meinungsforscher von Factum gelangten zu ganz ähnlichen Ergebnissen: 57% hielten einen Mord für "sicher oder wahrscheinlich", nur 23% einen Suizid.

  Mord Suizid N/A Total
Uruguay insgesamt 56 21 23 100
Montevideo 64 15 21 100
Landesinneres 50 25 25 100
 
Blancos insgesamt 55 21 24 100
Anhänger von
Alberto Volonté 63 11 26 100
Juan Andrés Ramírez 62 19 19 100
Luis Alberto Lacalle 44 34 22 100

Graphik: Umfrage-Ergebnisse von Cifra (in %): "War Villanueva Saravias Tod Mord oder Selbstmord?"

Die Selbstmord-Argumentation der Polizei erscheint mehr als fragwürdig. So wurde z.B. behauptet:

  • 1.) 80% der Linkshänder (wie Saravia) würden sich mit der rechten Hand erschießen. Diese abenteuerliche Behauptung wurde umgehend von führenden Gerichtsmedizinern zurückgewiesen.

  • 2.) Es seien keinerlei Motive für einen eventuellen Mord bekannt. Dabei waren nur Raub, Sexualdelikte und Hausbesetzung / Belagerung ("Copamiento") in Betracht gezogen worden. Jeder durchschnittliche Krimileser könnte hier ad hoc mehr Hypothesen aufstellen, zumal im Falle einer so kontroversen Persönlichkeit wie Villanueva Saravia.

  • 3.) Selbstmord läge quasi in der Familie, da sich schon Villanuevas Großvater väterlicherseits sowie seine Mutter († 27. 11. 1975) und sein Halbbruder mütterlicherseits († 4. 4. 1996) selbst umgebracht hätten. Auch diese und ähnlich dürftige pseudopsychologischen Hypothesen wurden von Forensikexperten energisch zurückgewiesen

Saravias Eltern, Diego Saravia Saravia und Luz del Carmen Pinto Giordano, hatten sich 1966 getrennt und waren 1967 geschieden worden. Nach der elterlichen Trennung kam Villanueva, noch ein Kleinkind, zu seinen Großeltern mütterlicherseits, Luis César Pinto und María del Carmen Giordano, die ihn großzogen.
1969 heiratete seine Mutter Juan Carlos Arismendi. Sein Halbbruder, Carlos Arismendi Pinto, war am 30. 4. 1970 geboren worden.

Dem kann man die berechtigte Frage entgegen halten, was denn, bitteschön, Villanueva Saravia in einen Freitod getrieben haben soll?

  • 1.) Villanueva Saravia strotzte vor Vitalität und hatte noch viel vor in seinem Leben. Kurz vor seinem Tod hatte er wieder einmal im Direktorium der Blancos aufgetrumpft und die alteingesessenen Honoratioren an die Wand gespielt, v.a. seinen Hauptgegner Luis Alberto Lacalle, gegen den er schon seit langem schwere Korruptionsvorwürfe erhob (!).

  • 2.) Seine junge Frau, María Verónica Bejérez Pereira (19), war hochschwanger. Nur drei Tage nach Saravias Tod wurde die gemeinsame Tochter María Cándida Saravia Bejérez geboren, die gemäß einer Vereinbarung ihrer Eltern nach der Urgroßmutter Villanueva Saravias getauft wurde, der Frau Aparicio Saravias. (Das Paar hatte sich im Juli 1996 verlobt und am 10. Mai 1997 geheiratet. Die zweite Tochter Saravias, Lucía Belén Saravia Malvares, war 1993 zur Welt gekommen.)

  • 3.) Vor seinem Todestag, dem 12. August 1998, war Saravia bis 2 Uhr morgens auf einer Geburtstagsfeier in Melo gewesen und wirkte alles andere als deprimiert. Keinem der Anwesenden war irgendetwas Eigenartiges oder Besonderes an ihm aufgefallen. Und dann soll dieser Mann nach Hause gegangen sein und sich m.o.w. unmittelbar nach seiner Rückkehr eine Kugel in den Kopf gejagt haben...?

Viel Feind, viel Ehr'

So wie er machte keiner sonst in Uruguay Politik. Er kuschte nicht vor alten Parteigrößen, brach Tabus und Stereotype, präsentierte seine Themen in einem neuen Ton und in einer neuen Form und wartete damit nicht auf den besten Zeitpunkt. Er nahm kein Blatt vor den Mund und sprach aus, was viele dachten.

Feinde hatte sich Villanueva Saravia nicht nur wegen seiner kompromisslosen, ungestümen Art und seinem Drang, nach oben zu kommen, verschafft, sondern vor allem wegen seiner Antikorruptionskampagne, die er vor allem gegen den Ex-Präsidenten und Parteigenossen Luis Alberto Lacalle und dessen ehemalige Regierungsmannschaft lostrat.

Zum Zeitpunkt seines Todes liefen drei Gerichtsverfahren, in die Saravias streitbare Persönlichkeit auf die eine oder andere Weise verwickelt war.

In einem Rückblick unter dem Titel "Fünf Jahre nach dem Tod von Villanueva Saravia" steht auf der Webseite des angesehenen, den Blancos nahestehenden uruguayischen Radiosenders "El Espectador" mit Datum vom 12. 8. 2003 zu lesen (hier): "Einer seiner aktuellen Feinde war Luis Alberto Lacalle [Führer des "Herrerismo"], über den er [Saravia] sagte: 'Lacalle ist ein undankbarer Mensch, denn als alle nach Straußenart die Köpfe in den Sand steckten wegen der Probleme mit der Korruption, war ich der einzige, der in die Offensive ging und die Tüpfelchen auf die I's setzte."

"El Espectador" weiter: "Außerdem hatte er sich mit seinem Schwiegervater überworfen, Rufino Serafín Bejérez Pereira, den er [nach der Wahl] 1994 auf einen hohen Posten der Intendencia berufen, aber nach zwei Jahren abgesetzt und des Betrugs bezichtigt hatte. Bejérez endete vor den Schranken der Justiz", konnte aber auf die Unterstützung von Ex-Präsident Lacalle und des amtierenden Staatschefs, Julio María Sanguinetti (Colorados), zählen.

Einen dritten Problemkreis bildete die harte Konfrontation mit der teilautonomen Stadtverwaltung ("Junta Departamental") von Río Branco und der Justiz von Cerro Largo, die am 28. Dezember 1997 ihren Lauf nahm. Saravia hatte gegenüber der Junta der Grenzstadt seines Deparatamentos seine Autorität als Intendente durchgesetzt und rund 410.000 Dollar aus der Kasse der Stadtverwaltung genommen, die seiner Meinung nach dem Departamento zustanden.

Nachdem bekannt geworden war, daß gegen ihn Anklage erhoben werden würde, hatte Saravia den ihn charakterisierenden, bekannten Satz geäußert: "Ich bin nicht bereit die Länge meiner Zunge von einem Staatsanwalt oder Richter messen zu lassen. Meine Haltungen werden von den Leuten bewertet, wenn sie wählen."

Saravias Konflikt mit Luis Alberto Lacalle de Herrera

Schon 1987, als der gerade mal 22jährige Villanueva Saravia seine Präsenz auf der uruguayischen Politbühne erst so richtig anmeldete, indem er für seine Kandidatur bei den Wahlen vom November 1989 arbeitete, verschlechterten sich Saravias Beziehungen zu seinem vormaligen Mentor und verschlimmerten sich zunehmend während des Wahlkampfes.

"Lacalle erlaubte nicht, daß ich auf Veranstaltungen sprach, in denen er anwesend war. Mehr noch, er wollte nicht, daß ich zusammen mit ihm auf die Tribünen stieg, was ihm jedoch nicht gelang. Einmal gab es sogar Rangeleien und Geschubse am Fuß der Treppe zwischen den Leuten von [Juan de la Cruz] Silveira Zabala, die nicht wollten, daß ich hochkam, und meinen Leuten, die mir den Weg freimachen wollten. Trotzdem kam ich auf die Bühne und blieb es auch während der ganzen Veranstaltung", erzählte Saravia im Interview mit César di Candia (Búsqueda Nº 807, 1995).

"Doch nach der Veranstaltung kam es noch schlimmer, denn meine Leute gingen zu dem Hotel, in dem Lacalle logierte, umstellten es und ließen niemanden durch, bevor dieser [Lacalle] sich nicht bei uns entschuldigt hätte. Dann kam ich an, und alles beruhigte sich." (ebenda)

Auch nach den Wahlen, die Lacalle die Präsidentschaft der Republik (3/1990 - 2/1995) und Saravia, protegiert von Vizepräsident Gonzalo Aguirre, die Vizepräsidentschaft des staatlichen Wasserwerks OSE brachten, gingen die Konflikte zwischen den beiden Kampfhähnen weiter. "Luis Alberto [Lacalle] kommandiert die Leute gern herum", so Saravia in derselben Reportage, "und wenn ein Herumkommandierer Präsident der Republik ist..."

Auch nach der Regierungsperiode Lacalle gingen die Konfrontationen weiter. So klagte Saravia Lacalle etwa am 13. Januar 1998 als "despotisch und demagogisch" an. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen von 1999 setzte Saravia noch einen drauf und erklärte öffentlich, das Schlimmste, was Uruguay passieren könne, wäre eine erneute Präsidentschaft Lacalles. Dies würde eine "Regierung unter Verdacht" bedeuten, da gegen alle Vertrauenspersonen des früheren Staatschefs Korruptionsverfahren liefen.

Saravias Konflikt mit seinem Schwiegervater

1994, als Villanueva Saravia zum Intendenten von Cerro Largo gewählt wurde, waren seine Beziehungen zu seinem Schwiegervater, Rufino Serafín Bejérez Pereira, ausgezeichnet. Saravia ernannte Bejérez zu seinem zweiten Stellvertreter und außerdem zum Leiter der Abteilung für öffentliche Bauten, eine Schlüsselposition in der Departaments-Verwaltung.

Die Harmonie dauerte jedoch nicht einmal zwei Jahre. Im April 1996 ersetzte Saravia Bejérez durch dessen Vize im Bauamt mit der Begründung, dieser sei besser für diesen Posten qualifiziert ("Una mejor preparación funcional y técnica"). Wenig später erstattete er Strafanzeige gegen seinen Schwiegervater Bejérez wegen Betrugs.

Dennoch konnte Bejérez im Juli 1997 für kurze Zeit auf dem Intendentenstuhl Platz nehmen, als der Ministerpräsident im Urlaub war und sein erster Stellvertreter, Ricardo Etchenique, erkrankt war...

Der angeklagte Ankläger: Der "Fall Svetogorski"

Am 17. Juni 1996 erstattete Teódilo Maciél, Ex-Angestellter einer Firma, die ausländische Unternehmen in öffentlichen Ausschreibungen repräsentiert, Anzeige gegen verschiedene Funktionäre der früheren Regierung Lacalle wegen Korruption, darunter Saravia. Während seiner Amtszeit als Vizepräsident des staatlichen Wasserwerks OSE soll Saravia während der Verhandlungen um die fünfte Versorgungsleitung ("Linea de bombeo") Geld angenommen haben, so der Vorwurf.

Am 19. Mai 1978 ließ die Staatsanwältin Elsa Machado die Anzeigen ad Acta legen, während der zuständige Richter, Fernando Cardinal, die Beweisaufnahme ("Presumario") stoppen ließ. D.h. es kam zu keiner Anklageerhebung.

Nach Saravias Tod: Chaos in Cerro Largo

Wenig Pietätvolles passierte nach Villanueva Saravias Tod in dessen Departamento Cerro Largo. Der von Saravia entlassene und wegen Betrugs angezeigte Serafín Bejérez, Saravias Schwiegervater, machte Diego Saravia, dem vom Rat (Junta Departamental) von Cerro Largo bestimmten Nachfolger und Vater Villanueva Saravias, seinen Amtssitz unter Aufbietung von Polizei und Militär streitig, wobei er Schützenhilfe von der Zentralregierung in Montevideo bekam, insbesondere von Staatspräsident Julia María Sanguinetti und Innenminister Luis Hierro, beide Partido Colorado.

Bejérez hatte bei den Departamentswahlen von 1994 hinter Villanueva Saravia die zweitmeisten Stimmen der Lista 58 erhalten, wodurch er zum ersten Nachfolgeaspiranten des Intendenten geworden war. Allerdings war er von Saravia rund zwei Jahre zuvor (1996) seiner Ämter enthoben und wegen Betrugs angezeigt worden.

Da jedoch zum Zeitpunkt des Ablebens von Saravia noch kein Urteil gegen Bejérez gefallen war, trat dieser das Amt des Ministerpräsidenten an - sich unter Polzeischutz und der Präsenz von Militär trotz Amtsenthebung und laufendem Strafverfahren im Vollbesitz seiner politischen Rechte wähnend, das Mandat auszuüben.

Die Junta Departamental von Cerro Largo dagegen ernannte unter Berufung auf das laufende Strafverfahren und den Artikel 268 der Verfassung Diego Saravia, den Vater des Verblichenen, für das höchste Regierungsamt. Dieser war zweiter Stellvertreter seines Sohnes gewesen mit den drittmeisten Stimmen und wurde am 14. 8. 1998 um fünf Uhr morgens durch Unterzeichnung der entsprechenden notariellen Akte Nachfolger von Villanueva Saravia, den Interimsintendenten Nelson Zolessi ablösend.

Die Mehrheit der Blancos und der Wähler unterstützten diese Entscheidung. Der Bundesabgeordnete Arturo Heber verlieh der Stimmung Ausdruck, indem er sagte, die Menschen von Cerro Largo "wollen nicht von einem Korrupten regiert werden".

In dieser Situation ließ die Polizei erst einmal keinen der beiden Kontrahenten in das Regierungsgebäude.


Und wer ist nun für den "Selbstmord" Villanueva Saravias verantwortlich? Sollte Jorge Larrañaga gewußt haben, mit wem er sich einließ, als er Lacalle nach den Wahlen 2004 seiner Parteiämter wegen Korruption entheben ließ, sich ihm aber 2009 nach den "Internas 2009" unterordnete?

Wer will schon gerne sterben?

 


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