José Gervasio Artigas' Geburtstag jährt sich am 19. Juni 2009 zum 245. Mal. Uruguay zelebriert dieses Ereignis wie jedes Jahr mit einem Feiertag.
Wer war dieser Mann, auf den auch heute noch praktisch alle Uruguayer stolz sind, von jung bis alt, von arm bis reich, auf den sich auch heute noch jeder uruguayische Politiker bezieht, von links bis rechts, vom Staatspräsidenten und Direktoriumsvorsitzenden bis hin zur Basis?
Er war sicher nicht das, was man gemeinhin von einem Nationalhelden erwartet. Er war mehr. Artigas liebte das Leben, die Freiheit und die Frauen. Willkommen zu
seiner nicht-autorisierten Biographie! (Er ist ja schließlich schon 'ne
ganze Weile tot.)
(Sagte ich Ihnen schon, daß ich Artigas mag? Er ist ein Nationalheld, den man gelten lassen kann.)
Das offizielle Artigas-Bild ist das eines perfekten Helden. Immer
makellos, heroisch und entschlossen blicken unzählige Artigas-Büsten,
Artigas-Torsos und Artigas-Statuen durch öffentliche Gebäude und Büros,
über Avenidas und Plätze. Gigantische Monumente wurden ihm errichtet,
wie z.B. das auf der "Meseta de Artigas" am Río Uruguay (Departamento
Paysandú), oder das kolossale Reiterstandbild über dem
Artigas-Mausoleum auf der Plaza Independencia in Montevideo, sowie das
gigantomanische Monumentalwerk auf dem "Cerro Artigas" in der Nähe von
Minas. Letzteres soll das größte Reiterstandbild der Welt sein...
Unvorstellbar, saß solch ein Mann auch mal nur in Unterhosen herumlief oder einfach einen schlechten Tag hatte.
1996 brachte die uruguayische Rockgruppe
"Cuarteto de Nos" auf ihrer neuen CD einen Song heraus mit dem Titel
"Der Tag, an dem sich Artigas besoff" ("El día que Artigas se
emborrachó") - ein Medienereignis schlechthin! (Der echt lustige Text
kann z.B. hier nachgelesen werden: El Día que Artigas se Emborrachó.)
Das Lied wurde als "jugendgefährdend"
eingestuft und durfte demzufolge nur noch zu eingeschränkten
Sendezeiten von Radiostationen gespielt werden. (Unter uns gesagt: Das
war das Beste, was den jungen Leuten passieren konnte! Die
Verkaufszahlen ihrer Platte schnellten exponentiell nach oben.) Später
wurde das 'Verbot' dann wieder aufgehoben, aber diese erste Reaktion
zeigt, wie empfindlich das offizielle Uruguay ist, wenn es um das Image
seines Nationalhelden geht.
Mit dem Reiterstandbild-Artigas hat der wirkliche Artigas... etwas zu
tun, aber nur am Rande. Er war mehr als das, nämlich ein vollständiger
Mensch, nicht unbedingt wie Sie und ich, denn wir haben uns irgendiwe
arrangiert mit dem Leben und mit dem, was 'geht' und was nicht. Wir
haben unsere Nischen gesucht und vielleicht auch gefunden. Wir stänkern
ein bischen herum gegen die Sch...., die so abläuft, und suchen unseren
Platz im Trockenen.
Artigas jedoch war anders. Er ging auf's Ganze, machte keine faulen
Kompromisse und kämpfte und riskierte sein Leben für seine
Überzeugungen. Er war der Simon Bolivar von Uruguay, oder vielleicht
noch größer als dieser. Er war ein Visionär und pragmatischer Humanist,
der einen authentischen "Sozialismus" am Río de la Plata einführte, als
das "Kommunistische Manifest" noch gar nicht geschrieben war. (Und
wahrscheinlich hätte sich Artigas herzlich wenig für die
theoretisch-intellektuellen Ergüsse von Karl Marx interessiert).
José Gervasio Artigas - Eine Biographie
(* 19. 6. 1764 in Montevideo, Uruguay,
† 23. 9. 1850 in Ibiray, Paraguay)
"Ich bin nicht käuflich, und ich strebe
nach keinem Lohn für meine Bemühungen außer dem, meine Nation frei zu
sehen."
"Yo no soy vendible, ni quiero más premio
por mí empeño que ver libre mi nación."
José Gervasio Artigas
Nationalheld und Mythos
Jede uruguayische Gemeinde hat
ihre nach Artigas benannte Straße. Unzählige Plätze, Schulen,
Kindergärten, Hospitäler und auch Kasernen usw. tragen seinen Namen.
Kohorten von Artigas-Standbildern erheben sich auf Straßen und Plätzen,
Legionen von Artigas-Büsten und Portraits zieren öffentliche Gebäude und
Büros. Die uruguayische Post verkauft Artigas-Briefmarken, die Zentralbank druckt ihn
als Wasserzeichen auf Geldnoten und bringt Münzen zu seinem Gedenken
heraus. Jeder uruguayische Poet hat ihn
bedichtet, jeder Maler gemalt, jeder Bildhauer eine Artigas-Skulptur
gefertigt. Jede Partei sieht sich in seiner Nachfolge, jeder Politiker
hat Artigas-Zitate parat, und jedes Schulkind erfährt im Unterricht von
seinen Heldentaten.
Bild: "Artigas en la
Ciudadela", Ölgemälde von Juan Manuel Blanes (1884), das am meisten
reproduzierte Artigas-Portrait.
"Der Held"
wird er genannt ("El Prócer"), der
"Vater der uruguayischen
Nation" bzw. Identität ("Padre de la Patria Uruguaya"),
"oberster Führer der Uruguayer" ("Primer
Jefe de los Orientales") usw.
Der Mensch José Artigas
"In Freiheit beleidige ich nicht und fürchte ich nicht"
"Con libertad ni ofendo ni temo"
José Gervasio Artigas
Das alles war er, keine Frage -
aber er war noch viel mehr. Und vor allem: José
Artigas war so ganz anders, als die ehernen Skulpturen, die perfekten
Gemälde-Posen, der wortgewaltige Popanz um seine Person und das düster
anmutende
Mausoleum auf der Plaza Independencia vermuten lassen.
Der Mensch
Artigas war von Jugend auf freiheitsliebend, sinnenfroh, unkonventionell
und charismatisch.
So
gar nicht standesgemäß, wie es sich für den Sproß eines königlichen
Offiziers und Estanciabesitzers gehört hätte, lebte er von seinem 16. bis
zum 33. Lebensjahr mit Charrúa-Indios. Aber auch
später als königlicher Grenzsoldat und danach als Freiheitskämpfer hatte Artigas viel mit
den uruguayischen Ureinwohnern zu tun. Mehr noch: Ohne sie hätte er seine
Aufgaben nicht erfolgreich durchführen können, die Charrúas waren das Rückgrat
seiner Befreiungsarmee.
In seinen
jungen Jahren, die er mit den Indios verbrachte, war Artigas
Viehdieb und Schmuggler, zumindest
vor dem Auge der spanischen Gesetze.
Das traf in diesen rauhen Zeiten auf die meisten der
umherziehenden Gauchos und Indios zu.
1897 machte er dann von einer Amnestie Gebrauch und wurde königlicher
Grenzsoldat.
Anders
als die meisten seiner prüden Zeitgenossen liebte Artigas das Leben und
das 'schöne Geschlecht'. Bekannt sind 14 Kinder von
ihm von 8 verschiedenen Frauen, aber es dürften wohl noch einige mehr gewesen sein.
Doch
nicht nur die Indios und die Frauen liebten ihn. Artigas
war ein wirklicher Mann des Volkes. Die wohl bewegendste Episode der
uruguayischen Geschichte ist mit seinem Namen verbunden: Der sog. Exodus
("Exodo") der uruguayischen Landbevölkerung. Als
die erste Belagerung Montevideos am 14. Oktober 1811 wegen der Intervention
ausländischer Truppen erfolglos abgebrochen werden mußte und Artigas
einen strategischen Rückzug ins benachbarte Argentinien beschloß, folgte
ihm praktisch das gesamte Landvolk Uruguays. Arm und Reich, Jung und
Alt, Mann und Frau bewegten sich zu Fuß, zu Pferd und
im Ochsenkarren mit ihrem gesamten beweglichen
Hab und Gut zusammen mit Artigas' Befreiungsarmee in einem riesigen Troß durch
das Land, um bei der heutigen "Meseta von Artigas" südlich von Salto den Río
Uruguay ins sichere Nachbarland zu überqueren. Und sie, das "Volk in Waffen"
("Pueblo en Armas"), kehrten mit ihrem von ihnen selbst gewählten Führer auch
wieder zurück, als Artigas ein Jahr später zur Endoffensive gegen die spanische
Kolonialmacht und ihre Verbündeten antrat.
Artigas
war ein prinzipientreuer Visionär und der erste wirkliche
Sozialrevolutionär Iberoamerikas. Nach dem Sieg seiner "Revolution der
Armseligen" setzte er während der zwei Jahre seiner Regierung (Jan. 1815
- Jan. 1817) die Prinzipien "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"
konsequent in die Praxis um. Großgrundbesitz wurde enteignet und an das
Landvolk verteilt, Privilegien wurden abgeschafft. Außerdem
gründete Artigas eine Föderation mit mehreren Nachbarprovinzen, die Idee der
südamerikanischen Einheit vorwegnehmend.
Artigas'
ganze menschliche Größe zeigte sich auch nach seiner Niederlage im
paraguayischen Exil (1820-1850). Alles andere als verbittert verteilte
er seine Pension, die er von der paraguayischen Regierung erhielt, unter
den Bedürftigen, bis sie
ihm deswegen gestrichen wurde. Das brachte ihm, neben dem Respekt der
Menschen, den Beinamen "Vater der Armen" ("Padre de los Pobres") ein.
Nach seinem Tod erhielt er ein paraguayisches Staatsbegräbnis.
Herkunft und Jugend (1764-1784)
José
Gervasio Artigas war Enkel spanischer
Einwanderer der ersten Stunde. Seine beiden Großväter stammten aus
Zaragoza, Aragon, die Großmutter mütterlicherseits aus Teneriffa, die andere aus
Buenos Aires, Tochter eines Vaters aus Malaga und einer portugiesischen
Mutter, Nachfahrin einer Inka-Prinzessin namens Beatríz Tupac Yipanqui.
Sein Großvater väterlicherseits,
Juan Antonio Artigas y Ordovás (1693-1775), ab 1716 königlicher Soldat
und Beamter in Buenos Aires und danach in Montevideo, und dessen Frau
Ignacia Javiera Carrasco de Melo y Coutinho (*1701) erscheinen bereits
im ersten Zensus der Stadt Montevideo, in deren Gründungsjahr 1726, er
32jährig, sie 25, mit damals vier kleinen Töchtern. (Der Vater von
Artigas, Martín José, wurde später in Montevideo geboren). 1730 wurde
Juan Antonio Artigas militärischer Stadtkommandant unter Zabala. Außerdem gehörte er
dem ersten Stadtrat ("Cabildo") der jungen Gemeinde an.
Die Großeltern mütterlicherseits
waren Francisco Felipe Santiago Pasqual Asnar (1715-1773) und Maria
Rodriguez Camejo (1714-1772), ebenfalls Einwanderer der ersten
Generation. Sie hatten am 28. 8. 1741 geheiratet.
Artigas' Eltern, Martín José
Artigas Carrasco (1733-1822), von 1761 bis 1796 ein hoher königlicher
Beamter und Soldat, und Francisca Antoña Pascual Rodríguez (in anderen
Quellen, auch einem vielzitierten Eintrag im Band I des
Geburtenregisters von Montevideo, Seite 114: Francisca Antoña Arnal),
besaßen eine Estancia in Villa del Sauce, unweit der Hauptstadt. Das
1925 teilweise aus Mauerresten des Originalhauses rekonstruierte
Estanciagebäude ist heute nationales Kulturdenkmal.
Artigas' Herkunft und
Leben sind sehr gut dokumentiert durch viele erhaltene Dokumente,
Urkunden, von ihm selbst diktierten Schriften und Texten von
Zeitgenossen. Umso verwirrender ist deswegen die Unklarheit in bezug auf
den Nachnamen seiner Mutter und damit auf den zweiten Nachnamen von
Artigas (s.o.).
Nach der spanischen
Namensgesetzgebung hat jeder Mensch zwei Nachnamen: Der erste ist der erste
Nachname des Vaters, der zweite der erste Nachname der Mutter. Diese
behalten beide Geschlechter auch nach Heiraten bei.
Artigas wurde als drittes von
insgesamt acht Kindern dieser am 12. Mai 1757 geschlossenen Ehe geboren,
als Montevideo gerade mal ein paar hundert Einwohner zählte. Seine
Geschwister José Nicolás, Esteban, Martina, Pedro Angel, Manuel
Francisco (1769-1822), Cornelio Cipriano und José Antonio unterstützten
ihren Bruder José Gervasio zum Teil aktiv in seinen späteren Bemühungen
um die nationale Unabhängigkeit Uruguays.
Bis zum Alter von neun Jahren
(1764-1774) lebte Artigas bei seinem Großvater väterlicherseits, Juan
Antonio Artigas, seit 1730 militärischer Stadtkommandant von Montevideo.
Von ihm erhielt er seine ersten Kenntnisse über die Charrúas, die später
zu seinem Lebensmittelpunkt werden sollten (s.u.). Danach, im Haus
seiner Eltern und bei seinen Großeltern mütterlicherseits, hatte
Artigas viel Umgang mit jungen Schwarzen, die
formell als Sklaven, faktisch jedoch wie Mitglieder der Familie lebten. So
hatte schon der kleine José enge Kontakte mit Menschen anderer
Kulturen und Rassen, was ihm schon früh die Gelegenheit gab seinen Horizont
zu weiten.
Zwei Jahre lang, von
1774 bis 1776, besuchte
Artigas die Grundschule des Franziskanerkonvents in der Calle
Piedras Ecke Zabala in Montevideo, wo er Lesen, Schreiben und Rechnen lernte, so mehr oder weniger zuminest. Andere
Schulen hat Artigas nie besucht, was einmal mehr zeigt, daß Schulbildung bei weitem nicht alles ist, was für die Ausformung
von Persönlichkeit, Moral und Bewußtsein relevant ist.
Mit dem Schreiben
hatte es Artigas nie so. Die zahlreichen von ihm verfaßten Texte
hat er immer schreiben lassen.
Bild: Artigas-Briefmarken der
uruguayischen Post anläßlich seines 150. Todestages. Oben eine
Darstellung des alten Artigas.
Ab seinem 14. Lebensjahr lebte
Artigas dann auf dem elterlichen Anwesen bei Sauce. Hier begann er die Menschen seines Landes kennen
zu lernen und
fand ein großes Vergnügen an allen körperlichen Tätigkeiten auf
der Estancia: dem Einfangen von Rindern mit Lasso oder "Bolas", den
Rodeos und dem Zureiten von Wildpferden, dem Messerwerfen, Flüsse
durchschwimmen, Reiten und dem Umgang mit Waffen etc. In all diesen
Disziplinen entwickelte Artigas eine große Geschicklichkeit und
erwarb sich den Respekt und die Anerkennung der Anderen.
Boleadoras oder Bolas sind Wurfwaffen
zum Fangen von Tieren oder Menschen, bestehend aus drei
zusammengeknoteten Leinen von jeweils 1 bis 1,5 m Länge, an deren
Ende jeweils ein Gewicht befestigt ist.
Mit 16 Jahren, 1780, verließ
Artigas das elterliche Anwesen und ging tiefer in's Land. In Villa
Soriano (im Südwesten des Landes) fand er seine vermutlich
erste Liebe: Isabel Velázquez,
mit der er vier Kinder zeugte,
die er später anerkannte.
Artigas' Erwachsenenleben...
...läßt sich klar in vier Etappen unterteilen:
-
Leben mit den Charrúas (1784-1797)
-
Königlicher Grenzsoldat und Offizier (1797-1811)
-
Freiheitskämpfer und Revolutionär (1811-1820)
-
Exilant in Paraguay (1820-1850)
Leben mit den
Charrúas (1784-1797)
"Denken wir daran, daß sie [die Indios] in erster Linie ein Recht haben,
und daß es eine Schande für uns wäre, sie weiter in dieser beschämenden
Ausschlußsituation zu halten, der sie bis heute ausgesetzt waren, nur
weil sie Indios sind."
"Recordemos que ellos tienen el principal derecho, y que sería una
degradación vergonzosa para nosotros, mantenerlos en aquella exclusión
vergonzosa que hasta hoy han padecido por ser indianos."
José Gervasio Artigas
Danach ging
Artigas nach Norden und lebte mit den Charrúas, deren ungebundenes
Nomadenleben ihm offenbar besser gefiel als die Zivilisation und ihre
Zwänge. Die genauen Gründe hierfür sind nicht bekannt. Vielleicht war es
ja der Tropfen Indianerblut, der in seinen Adern floß, der Artigas zu
den Charrúas zog.
Mit Sicherheit haben
die Erfahrungen seines Großvaters väterlicherseits, Juan Antonio
Artigas, eine Rolle gespielt, bei dem José Artigas bis zum Alter von
neun Jahren gelebt hatte. Dieser hatte als militärischer Stadtkommandant
Montevideos (ab 1730) eine enge Beziehung zu den Charrúas aufgebaut,
insbesondere in den Jahren 1732 bis 1773, deren Ansiedlungen er ein um's
andere Mal aufsuchte, um den Frieden mit Montevideo sicher zu stellen.
De facto rettete er dadurch die junge spanische Ansiedlung viele Male
vor dem sicheren Untergang, denn diese hätte damals einem konzentrierten
Angriff der Indios nicht standhalten können. Den Beweis dafür lieferte
Artigas später selbst, denn die wesentliche Stütze seines Rebellenheers,
mit dem er zuerst die Spanier und dann die Argentinier schlug (s.u.),
waren Charrúas.
Sicher ist, daß sich nun eine intensive Beziehung
zwischen den Charrúas und Artigas entwickelte, die bis zu seinem Weggang
nach Paraguay (1820) anhielt. 19 Jahre lang taucht Artigas' Name in
keinem Zensus mehr auf, was für die auf dem Land umherziehende
Bevölkerung (Indios, Gauchos) der damaligen Zeit durchaus normal war.
1785 wurde sein
vermutlich erster Sohn mit einer Charrúa-Frau geboren: Manuel Artigas,
genannt "El Caciquillo" ("Der kleine
Häuptling"), der später als
Charrúa-Häuptling den Befreiungskampf seines Vaters von Anbeginn (1811)
unterstützte.
Anfang 1796 wurde Artigas mit ca.
200 Indios in Cerro Largo bei einem Viehtrieb von einigen tausend
Rindern Richtung Santa Tecla, Brasilien, überrascht. Die Tiere waren in
der Gegend der Flüsse Arapey Grande und Arapey Chico zusammengetrieben und gestohlen worden.
Exkurs: Die Charrúas, Artigas' Wahlfamilie
Die
Charrúas waren Artigas'
Wahlfamilie. Bei ihnen wurde er zu
dem, der er war. Hier formte sich seine Persönlichkeit. Und man muß
sagen, wenn ein Mann, der kaum Schulbildung genossen hat, zu solch
kosmopolitischer Weisheit und menschlicher Größe heranreifen konnte wie
Artigas, dann kann die Kultur der Charrúas, über die wenig bekannt ist,
so schlecht nicht gewesen sein.
Im Gegenteil: Diejenigen,
die dieses Volk vernichteten, und wir, deren Nachkommen, ob wir nun in Uruguay
leben oder nicht, hätten vermutlich viel von diesen Menschen lernen
können, die keinen Privatbesitz an Land und Produktionsmitteln und kein
Geld kannten.
Bild: Charrúa-Indio mit
Boleadora und Lasso.
Das Kerngebiet der Charrúas lag
nördlich des Río Uruguay zwischen den Flüssen Queguay und Arapey, in dem
Gebiet, dessen Eckpunkte heute die Städte Paysandú, Tacuarembó und Salto
bilden. Noch heute weisen viele indianische Flüsse- und Ortsnamen in
dieser Region auf diese indianische Vergangenheit hin wie etwa Arapey, Daymán,
Arerunguá, Quéguay, Chapicuy, Quebracho, Cuaró etc. Nicht zuletzt
befinden sich in diesem Gebiet auch der
Indianerfriedhof im "Valle Edén" unweit von Tacuarembó und
die Reste der Hütte ("Tapera") von Melchora Cuenca, der indianischen
"Frau von Artigas". Und auch Salsipuedes, der Ort des
Charrúa-Massakers vom 11. April 1831, befindet
sich hier.
Bild: Reste der "Tapera" von Melchora Cuenca bei
Guichón, Paysandú.
Artigas nannte dieses Gebiet "das
Zentrum meiner Ressourcen" ("el centro de mis recursos").
Alle wichtigen Dinge in seiner Zeit als Revolutionär (1811-1820; s.u.)
spielten sich hier ab:
-
Von der heute so genannten "Meseta
de Artigas" (südlich von Salto, bei
km 463 der Ruta 3) aus setzte Artigas mit
seinen Leuten in das strategische Rückzugsgebiet im argentinischen Ayui
über.
-
Bei Guayabos errangen die
Artiguisten am 10. Januar 1815 ihren entscheidenden Sieg über die
Argentinier, der ihnen die Herrschaft über das Land brachte.
-
Nach seinem Sieg richtete Artigas in der von ihm so genannten
"Villa de Purificación" ("Ort der inneren
Reinigung"; ca. 100 km nördlich von Paysandú) sein Hauptquartier ein, um von hier
aus seinen "Bund der Freien Völker" ("Protectorado
de los Pueblos Libres") voranzutreiben und
nicht von der Zitadelle Montevideos aus, wie nicht zuletzt
das omnipräsente Artigas-Portrait von Juan Manuel
Blanes nahelegt ("Artigas en la Ciudadela").
Im Jahr 2003 wurde das Areal, auf dem sich Purificación befand,
zum historischen Monument erklärt (Gesetz
Nr. 17.631).
2004 wurde per
Gesetz 17.757 die "Charrúastraße" ("Ruta de los Charrúas")
geschaffen, die an wichtigen Orten dieser ausgelöschten Nation
vorbeiführt. Sie beginnt auf der Ruta 90 (Paysandú)
und führt über die "Cuchilla
de Haedo" von Guichón nach Piñera (Camino Departamental / Landstraße Nº
69.1), Merinos (Nº 69.2), Morató (Nº 69.3), Tiatucura
und Salsipuedes (Nº 78)
bis zur Ruta 5.
Artigas
lernte von den Indios auch viel über
Heilpflanzen und deren Anwendung.
Nebenbei bemerkt spielte er auch gerne Gitarre und sang dazu.
Exkurs: Artigas' Frauen und
Nachkommen
Anders
als die meisten seiner prüden Zeitgenossen liebte Artigas das Leben und
das 'schöne Geschlecht'. Bekannt sind 14 Kinder von
ihm von 8 verschiedenen Frauen, aber es dürften wohl noch
erheblich mehr gewesen sein.
-
Mit seiner vermutlich ersten Liebe
(ca. 1780-84), Isabel Velázquez
aus Villa Soriano, zeugte Artigas vier
Kinder,
die er später anerkannte:
Juan Manuel, Clemencia, Agustina und María Vicenta.
-
1785 wurde Artigas' vermutlich erster Sohn mit einer
(anonymen) Charrúa-Frau geboren: Manuel Artigas,
genannt "El Caciquillo" ("Der kleine
Häuptling"), später ein wichtiger Truppenführer im Rebellenheer
seines Vaters. Weitere Frauen und Sprößlinge dürften bis 1797 gefolgt sein.
-
Am 23.
Dezember 1805 heiratete Artigas seine Cousine
Rafaela Rosalía Villagrán in einer Zeremonie nach alter Tradition. Mit
ihr hatte er einen Sohn und zwei Töchter: José María, Francisca Eulalia
und Petronila. Nachdem Artigas zum Aufständischen
geworden war, drehte Rafaela
buchstäblich durch und mußte von ihrer Mutter, Artigas' Tante, gepflegt
werden. Die Ehe wurde später annulliert.
-
Aus einer Romanze mit der
Gemischtwarenhändlerin Matilde Borda
ging Sohn Roberto hervor. 1817 schickte Artigas der Mutter das goldene
Schwert, das er 1815 in Würdigung seiner Verdienste von der Stadt Córdoba
erhalten hatte, als Zeichen der Anerkennung seiner Vaterschaft.
-
Aus der Verbindung mit
einer anonym gebliebenen indianischen (Guaraní) Missionarin entstand María Escolástica Centurión.
-
Mit einer weiteren anonym
gebliebenen Frau zeugte Artigas seinen Sohn Pedro Mónico.
-
Melchora Cuenca
heiratete Artigas in seinem Triumphjahr 1815 in seinem
Hauptquartier in "Villa de Purificación". Er hatte das rund 35 Jahre
jüngere Guaraní-Mädchen aus Asunción drei Jahre zuvor in
seinem Camp in Ayui (Argentinien) kennengelernt. Sie
gebar ihm zwei Kinder, Santiago (*1816) und María
(*1819), und gilt als "Frau von Artigas" ("la mujer de Artigas").
-
Aus der Zeit in Paraguay
(1820-1850) ist nur ein Sohn bekannt: Juan Simeón Gómez.
Hier dürfte aber noch einiges mehr passiert sein.
Königlicher Grenzsoldat und
Offizier (1797-1811)
In einem Schreiben vom 7. Januar
1797 schlug der spanische Vizekönig Pedro de Melo de Portugal y Villena
seinem König die Schaffung einer Elite-Grenztruppe vor, v.a. um den
Rinderschmuggel nach Brasilien zu unterbinden. Bald darauf wurde das
Korps der Blandengues geschaffen ("Cuerpo Veterano de Blandengues de la
Frontera"), acht speziell ausgebildete Kompanien mit je 700 Mann. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Amnestie für am Rande
oder außerhalb der Zivilisation lebende Haudegen und Draufgänger
erlassen, die gut reiten und schießen konnten und das zu bekämpfende
Gewerbe, den Schmuggel, aus eigener Erfahrung kannten - sofern sie in das Korps der Blandengues
eintraten.
Bild:
Artigas als Capitán der Blandengues.
Artigas machte davon Gebrauch. Er
verließ die Charrúas, ohne jedoch die Bindungen zu ihnen je abzubrechen,
und reihte sich am 10. März 1797 in die neu geschaffene Truppe ein.
Es darf getrost vermutet werden, daß Artigas diesen Schritt mit seinem
Volk, den Charrúas, abgesprochen hatte, war es doch besser einen der
ihren in dieser neuen Einheit zu haben und so über deren Aktivitäten
bescheid zu wissen.
Bereits nach
einem Dienstjahr wurde Artigas Leutnant ("Teniente de Línea").
Durch seine ausggedehnten Missionen und Ritte durch das ganze Land
verbesserte er seine ohnehin schon ausgezeichneten geographischen Kenntnisse
weiter, was ihm
später als Revolutionär sehr zugute kam.
1801 diente er dem Geographen
Félix de Azara als Helfer, dessen Aufgabe es war Ansiedlungen an der
Grenze zu Brasilien zu gründen, beginnend mit Batoví. Außerdem nahm
Artigas an Gefechten zur Abwehr der Portugiesen teil, die spanische
Grenzstationen angriffen.
1803 wurde Artigas auf Bitten der
Estancieros zum Operationschef ("Guardián General") zur Unterbindung des
Viehschmuggels. Die "Untreuen und Perversen"
("Infieles y Perversos"),
wie die Damen und Herren der Gesellschaft die Indios
zu nennen beliebten, sollten ein für allemal
vernichtet werden.
Doch Artigas unternahm nie etwas
gegen die Charrúas. Im Gegenteil, er beschützte sie. 1804 sollten
die Charrúas durch eine Militäroperation unter Coronel Rocamora
zerschlagen werden. Dieses Vorhaben wurde bei
Arerunguá auf einfache und originelle Weise zum Scheitern gebracht,
indem ein Charrúa-Kommando unter Führung von Artigas' Sohn, dem
Caciquillo Manuel Artigas, die Pferde von Rocamoras Einheit stahl.
Der entscheidende Tipp dürfte dabei von Artigas gekommen sein.
Rocamora war dadurch nicht nur zur
Unbeweglichkeit und Machtlosigkeit verurteilt. Er war auch bis
auf die Knochen blamiert und wurde als unfähig abgesetzt. Auch einer Folgeoperation unter Javier de Viana war wegen
Artigas' Listen nicht mehr Erfolg beschieden.
Später, während der
Unabhängigkeitskämpfe, haben die Charrúas noch öfter ihre Gegner durch
die Entwendung von deren Pferden außer Gefecht gesetzt. Viele
entscheidende Siege wurden mit Hilfe dieser List errungen.
Artigas erreichte noch viel mehr
für sein Volk: Am 14. Februar 1805 wurde Artigas vom Militärkommandanten des Nordens,
Coronel Francisco Javier de Viana, das Kerngebiet des Nomadenvolkes der Charrúa,
105.000 ha. bei Arerunguá (s.o.), als Eigentum
überlassen und ordnungsgemäß auf seinen Namen eingetragen. Selbstredend
verfolgte Artigas damit keine Eigeninteressen. Er hatte somit eine Art Reservat
geschaffen, in dem die Charrúas auf ihrem traditionellen Gebiet leben
konnten, wie sie es gewohnt waren. Dadurch wurde auch eine vorübergehende Befriedung der Situation zwischen
Estancieros und Indios erreicht.
Nach diesem Erfolg kehrte Artigas
nach Montevideo zurück und heiratete am 23. Dezember 1805 seine Cousine
Rafaela Rosalía Villagrán in einer Zeremonie nach alter Tradition. Mit
ihr hatte er einen Sohn und zwei Töchter.
1807 kämpfte Artigas gegen die zweite Invasion der
Engländer, gegen die er auch schon bei ihrer ersten Invasion
gekämpft hatte. Nach dem Fall Montevideos führte er seinen Kampf mit
Guerrilla-Taktiken vom Cerro aus fort. Im selben Jahr (1807) wurde er
Interims-Stadtkommandant von Colonia del Sacramento. Wegen seiner
Verdienste wurde er 1810 zum Hauptmann ("Capitán") der Blandengues
befördert.
Nachdem der spanische Vizekönig in
Buenos Aires, Baltasar de Cisneros, im Mai
1810 vertrieben und durch einen Regierungsrat ("Junta Grande", auch
"Junta de Mayo" genannt) ersetzt worden war, wurde Montevideo unter dem neuen Vizekönig, General Francisco Javier Elío (*
1766 in Pamplona / Navarra, † 1822 Valencia), zum Zentrum
der spanischen Royalisten. Im Januar 1811
besetzten diese die Stadt, um von hier aus
zu versuchen die Autorität der spanischen Krone in den aufrüherischen
La-Plata-Provinzen wieder herzustellen.
Freiheitskämpfer und
Revolutionär (1811-1820)
"Wir können nichts erwarten, außer von uns
selbst."
"Nada podemos esperar, si no es de
nosotros mismos."
José Gervasio Artigas
Nachdem Elío
der revolutionären Junta in Buenos Aires im Namen der spanischen Krone den Krieg erklärt hatte, quittierte Artigas am
15. Februar 1811 seinen Dienst
bei den Blandengues und als Militärkommandant von Colonia del
Sacramento und setzte zusammen mit Gleichgesinnten nach Buenos Aires über,
um der Junta Grande seine Dienste gegen die spanische Krone und deren
Statthalter anzubieten. Mit Erfolg: Artigas wurde der Oberbefehl über
die Milizen übertragen, die er aufstellen könne, und er erhielt einige
Waffen und etwas Geld.
Artigas' Schritt war das
Fanal für den Beginn des Aufstands. Am 27.
Februar 1811 begann die
Revolution in der Banda Oriental
(dem heutigen Uruguay) mit
dem sog. "Grito de Ascencio", einem in die Annalen eingegangenen
revolutionären Freiheitsschwur, ausgerufen ("Grito") am Ufer des
Ascencio-Flusses von Pedro José Viera und Venancio Benavides, zusammen
mit einer Hundertschaft patriotischer Gauchos, dem die beiden Caudillos
mit der Besetzung der Ansiedlung Mercedes noch in derselben Nacht, im
Morgengrauen des 28. Februar, Taten folgen ließen.
Bild: Zeitgenössische
Darstellung des "Grito de Asencio".
Nach
seiner Rückkehr aus Buenos Aires richtete Artigas sein erstes
Hauptquartier in Mercedes ein. Er übernahm die Führung der
Aufständischenbewegung, deren natürlicher Führer er war und bis zum
Schluß blieb, und
errang auch gleich einen militärischen Achtungserfolg in
der "Schlacht von Las Piedras" ("Batalla de Las Piedras"). Nur
wenige Kilometer von Montevideo entfernt siegte das
lanzenbewaffnete Gauchoheer von Artigas am 18. Mai 1811
über die Spanier und errang damit einen
der wichtigsten militärischen Erfolge überhaupt in diesem
Unabhängigkeitskampf. Die anschließend gemeinsam mit argentinischen
Streitkräften (unter Führung von General José Rondeau) unternommene erste Belagerung Montevideos
(ab 21. Mai 1811) mußte jedoch wegen der Intervention portugiesisch-brasilianischer
Truppen am 14. Oktober 1811 erfolglos abgebrochen werden.
Bild: "Batalla de las
Piedras". Ausschnitt aus einem Gemälde von Juan Manuel Blanes, mit
Artigas hoch zu Roß.
Vor der spanisch-portugiesischen Übermacht wich der "Oberste Führer der
Orientales" ("Primer Jefe de los Orientales"), wie Artigas inzwischen
genannt wurde, in den Westen
des Landes aus, um den Rio Uruguay südlich des heutigen
Salto nach Argentinien zu überqueren. Der Rückzug seines Rebellenheers, das sich selbst "Los Tupamaros" nannte
(in Anlehnung an Túpac Amaru, den letzten Inkaherrscher, von den
Spaniern am 24. 9. 1572 öffentlich in Cuzco enthauptet), kam einem Exodus der gesamten damaligen uruguayischen
Landbevölkerung gleich (und wird auch hier so genannt: "Exodo").
Zu Fuß, auf Pferden und in Planwagen wälzte sich
ein unüberschaubarer Troß durch die Banda Oriental. In den ersten
Dezembertagen des Jahres 1811 kam die Karawane an der heute so genannten
"Meseta de Artigas" an. Fast einen vollen Monat
dauerte es, bis alle Fuhrwerke, Tiere und Menschen, von denen nicht
wenige ertranken, auf die argentinische Seite des Río übergesetzt hatten,
wo sie ihr Lager in Ayui errichteten.
Artigas selbst überquerte den Fluß als einer der Letzten in der ersten
Januarwoche 1812.
Bild: Zeitgenössische
Darstellung des "Exodo".
Ab Oktober 1812
belagerten argentinische Truppen unter Rondeau erneut Montevideo mit dem
Ziel, die Banda Oriental der argentinischen Konföderation
einzuverleiben. Artigas und seine Leute beendeten ihren strategischen
Rückzug und schlossen sich dieser Belagerung an.
Anfang
1813 richtete Artigas seinen vorläufigen Regierungssitz in der Stadt
Canelones ein.
Auf einem Kongreß, den
Artigas und sein "Volk in Waffen" ("Pueblo en Armas") vom 5. bis 20.
April 1813 in ihrem Heerlager vor Montevideo bei Tres Cruces abhielten, wurde das
artiguistische Denken so klar wie selten zuvor. Am 13. April
1813 wurden die politischen Prinzipien für die angestrebte freie
Konföderation der La-Plata-Provinzen formuliert, deren zentrale Punkte
waren:
-
Absolute nationale
Unabhängigkeit von Spanien und wem auch immer
-
Republikanische
Regierung
-
Einberufung einer
Verfassunggebenden Versammlung
-
Gewaltenteilung
-
Rechtsstaatlichkeit
(Gleichheit vor dem Gesetz) und Garantie der bürgerlichen
Freiheitsrechte
-
Religionsfreiheit und
Trennung von Staat und Kirche
-
Föderativer Staatsaufbau und Dezentralismus
(Autonomie der einzelnen Provinzen)
-
Hauptstadt der Konföderation nicht
in Buenos Aires
-
Freier Handel und freies Wirtschaften auf Provinz- und
Konföderationsebene bei vernünftigen Steuerlasten
-
Öffnung
aller Häfen (Buenos Aires, Montevideo, Colonia, Maldonado).
Das implizierte die
Abschaffung aller damaligen Handelsprivilegien für Buenos Aires. Vor allem die letzten
vier Punkte waren für die Unitarier aus Buenos Aires inakzeptabel. Die
Delegierten der Banda Oriental, für die die obigen "Instruktionen"
(span. "Instrucciones") ausgearbeitet worden waren, wurden
deswegen auf der von Buenos Aires
einberufenen Verfassunggebenden Versammlung ("Asamblea General
Constituyente de las Provincias Unidas") in Tucumán, an der Vertreter verschiedener Provinzen des
Vizekönigreichs La Plata teilnahmen, nicht zugelassen. Mehr noch:
Die Junta in Buenos Aires setzte kurz darauf sogar ein Kopfgeld auf
Artigas aus! Von den mit
Artigas sympathisierenden anderen Provinzen hatte nur Córdoba Delegierte
zu der Versammlung entsandt. Vertreter von Entre Ríos, Corrientes, Santa Fe und Misiones
(heute alle zu Argentinien gehörig) waren erst gar nicht erschienen.
Daraufhin zogen sich
Artigas und seine Truppen am 20. Januar 1814 von der Belagerung
Montevideos zurück, die im Juni 1814 mit der Eroberung der Stadt durch
die Truppen Rondeaus endete. Damit war das spanische Kapitel am Río de
la Plata abgeschlossen, und ein neues begann: der Kampf uruguayischer
Rebellen nicht gegen eine koloniale, sondern gegen eine regionale Macht.
Durch
ihren Sieg in der Schlacht von Guayabos vom
10. Januar 1815 errangen die Artiguisten unter Führung von Coronel
Fructuoso Rivera die Herrschaft über das
gesamte Hinterland der Banda Oriental.
Den Argentiniern bleib nichts anderes übrig
als auch Montevideo zu räumen, wo am 15. Februar 1815
Fernando Otorgués als von Artigas beauftragter
Statthalter Einzug hielt.
Foto: Artigas-Statue
von José Luis Zorrilla de San Martín (1891-1975) vor dem nach Artigas
benannten Hauptbahnhof von Montevideo, enthüllt am 1. 6. 1949.
Artigas kontrollierte nun
das gesamte uruguayische Territorium zwei unvergeßliche Jahre lang. Umgehend begann er damit die Banda Oriental nach seinen
Vorstellungen umzugestalten: Er vereinigte sie mit den argentinischen Provinzen
Misiones, Corrientes, Entre Ríos, Santa Fé und Córdoba, die traditionell
unter dem Zentralismus von Buenos Aires zu leiden hatten, zu einer "Bundesliga" ("Liga Federal";
auch "Protectorado de los Pueblos Libres" genannt, "Protektorat der Freien
Völker"). Zum Schutz der
Binnenproduktion der Liga wurde noch im selben Jahr (1815) eine
Zollverordnung erlassen, die den Import ausländischer Waren, die mit der
nationalen Produktion konkurrierten, mit hohen Zöllen belegte.
Unter dem Motto "Die
Unglücklichsten sollen die Meistbegünstigten sein"
("Que los más infelices sean los más privilegiados") wurde im
"Revolutionsjahr" 1815 auch eine Agrarreform durchgeführt,
durch die die
Latifundien der spanischen Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet
und unter der mittellosen Landbevölkerung aufgeteilt wurden - die
erste und letzte Landreform dieser Art in ganz Amerika.
Im Folgejahr (1816) ließ Artigas die Stadtmauern
von Montevideo schleifen als Zeichen der Befreiung von der spanischen
Unterdrückung.
Bild: Das
offizielle Wappen der "Provincia Oriental"
unter Artigas vom Mai 1816.
Neben dem Motto von Artigas "In Freiheit beleidige ich
nicht und fürchte ich nicht" ("Con libertad ni ofendo ni temo"), der
Sonne als Symbol der Freiheit und der Waage als Symbol der Gerechtigkeit
beachte man die indianischen Insignien des Wappens wie den Köcher mit
Pfeilen (unten links) und den Federbusch als Krönung des Staatssiegels.
Diese und der afrikanische Tambor (unten rechts) ließen keinen Zweifel
daran, daß hier "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" für alle gelten
sollten, ohne Ansehen der Rassenzugehörigkeit.
Seinen Regierungssitz
der "Liga Federal" hatte Artigas in Villa de
Purificación eingerichtet, ca. 100 km nördlich von Paysandú im
Charrúa-Gebiet, das Artigas "das Zentrum meiner Ressourcen" ("el centro
de mis recursos") nannte. Montevideo ließ er von
Statthaltern regieren: zunächst Fernando Otorgués (1774-1831) ab dem 15.
Februar 1815, danach Miguel Manuel Francisco Barreiro (1770-1847) ab dem
29. Juli 1815.
In Purificación
heiratete Artigas 1815 auch Melchora Cuenca, nachdem
die Ehe mit seiner Cousine Rosalía wegen deren Demenz annulliert
worden war. Melchora, die als
"die Frau von Artigas" gilt ("la mujer de Artigas"), gebar ihm zwei Kinder.
Exkurs: Artigas aus der
Sicht eines Kirchenmanns
Der Presbytermönch und
Franziskaner Dámaso Antonio Larrañaga (1771-1848; Bild),
ab 1824 Apostolischer Vikar und erster Bischof von Montevideo,
besuchte José Artigas 1815 in Villa de Purificación.
Hier Auszüge aus seinem Reisetagebuch:
“12. Juni 1815. (...) Unsere Unterkunft war die Wohnung des Generals (Artigas). Sie bestand
aus zwei Dachkammern, eine
Nachbarhütte diente als Küche. Die Einrichtung reduzierte sich auf eine
Seekiste aus Leder und Feldbetten ohne Matratzen, die
als Nachtlager und Sofa zugleich
dienten. In den Zimmern
standen einfache Holztische, jeweils einer zum Schreiben und ein
anderer zum Essen. Ich glaube, es gab auch eine Sitzbank und drei
einfache Stühle. Alles war sehr spartanisch. (...).”
“Wir wurden von Miguel
Barreiro empfangen, einem (...) Verwandten und Sekretär
des Generals (Artigas), der an allen dessen Unternehmungen und auch Entbehrungen
teilgenommen hatte. Schlank in seinem Erscheinungsbild, ist Barreiro
außerordentlich begabt, ein wortgewandter und mitreissender
Gesprächspartner, wovon auch sein langer Schriftwechsel insbesondere mit
der Regierung von Buenos Aires beredt Zeugnis ablegt.”
“Um vier Uhr
nachmittags traf der General ein, Don José Artigas, begleitet von einem
Helfer und einer kleinen Leibwache. Die Begrüßung war völlig formlos.
In nichts ähnelte er einem General: Sein Anzug war der eines Landmanns,
und dazu noch sehr einfach: Hose und blaues Sacko ohne Verzierungen,
Schuhe und weiße Baumwollsocken, runder Sombrero mit weißem Futter und
ein Umhang waren all seine 'Insignien', und selbst diese waren einfach
und alt. Ein Mann mittlerer Größe
und von robuster Statur, von ziemlich weißer Hautfarbe, klaren
Gesichtszügen, Adlernase und schwarzem Haar mit wenigen grauen
Strähnen sieht er aus wie 48 (Artigas
war zu diesem Zeitpunkt
51).”
“Seine Konversation ist
ansprechend, er redet ruhig und nachdenklich. Man kann ihn nicht mit
langen und komplizierten Überlegungen in die Enge treiben, da er die
Dinge mit wenigen Worten auf den Punkt bringt. Seine große
Lebenserfahrung verleiht ihm Weitsicht und ein außergewöhnliches Feingefühl.
Er ist ein absoluter Kenner der menschlichen Psyche, insbesondere derer
unserer Landsleute, und so gibt es kaum jemanden, der ihn in seiner
Führungskunst übertreffen könnte.
Alle scharen sich um ihn und folgen ihm mit Liebe, obwohl sie halb nackt
und im Elend leben (...), weil sie unter der Bevölkerung keine Abgaben
erheben wollen (...).”
“Unsere Besprechungen dauerten bis zum Abendessen. Dieses war einfach
und bestand aus ein wenig Asado, Brühe, Eintopf mit Fleischeinlage, Brot und Wein, der in
Ermangelung von Gläsern in einer Tasse serviert wurde. Vier eiserne
Löffel, keine Gabeln und keine Messer außer denen, die man vielleicht
mitgebracht hatte, zwei oder drei Tonteller, eine alte Pfanne mit
abblätternden Rändern, als Sitzgelegenheiten drei Stühle und die
Seekiste, ansonsten Stehplätze. Unser Tisch war mit Baumwolldecken aus Misiones
bedeckt, aber ohne Servilletten. Und wie ich erfuhr, war vieles von
diesem Wenigen noch geliehen.
Nach dem Abendessen legten wir uns schlafen, und der General trat mir
nicht nur seine Lederpritsche ab, sondern sein ganzes Schlafzimmer und
verbrachte die Nacht in einer anderen Hütte. All meine Einwände dagegen
halfen nichts, er bestand darauf mir sein Gemach zu überlassen.”
“13. Juni 1815. In aller Herrgottsfrühe, beim ersten Sonnenstrahl,
kam der General uns zu wecken. Wir standen sofort
auf, und nach meiner Morgenmesse
ging es an's Frühstück. Dieses bestand weder aus Tee noch Kaffee,
auch nicht aus Milch oder Eiern, denn die gab es nicht. Auch Mate wurde
nicht gereicht, sondern eine heiße Brühe mit zwei Eiern drin, die
schließlich doch noch hatten aufgetrieben werden können. Ein großer Topf
wurde gefüllt und mit einem Saugrohr von Hand zu Hand gereicht. Es blieb
nichts anderes übrig als sich an diese spartanischen Umstände anzupassen,
trotz des großen Verlangens unserer Mägen nach fester Nahrung (...)."
Die Zerschlagung der "Revolution der Armseligen"
Die Banda Oriental, die
zuvor immer konservativer als ihre Umgebung gewesen war, war unter
Artigas zu einer revolutionären Zelle mutiert, die eine Gefahr für die Interessen der Mächtigen darstellte. 1816 marschierten deshalb
brasilianisch-portugiesische Truppen ein (Schlacht
von Carumbé, 27. 10. 1816), mit Billigung des Kongresses von Tucumán und
Buenos Aires.
Montevideo selbst fiel am 20. Januar 1817, und die Banda Oriental wurde als
"Cisplatanische Provinz" Brasilien einverleibt.
Die Kämpfe gegen Artigas' "Revolution der Armseligen" zogen sich trotz der
Schützenhilfe aus Buenos Aires für die Brasilianer/Portugiesen noch
einige Jahre hin. Erst am 22 Januar 1820 konnten die Artiguisten in der
Schlacht von Tacuarembó vollständig geschlagen werden.
Die Verbündeten der Liga
Federal konnten zwar die Truppen der bonaerensichen Junta bei Cepeda
besiegen, begannen dann aber auf eigene Faust zu handeln, was zum
sofortigen Zerfall der artigastreuen Liga führte.
Nach der Niederlage bei Tacuarembó
hatte sich Artigas nach Entre Ríos zurückgezogen, wo er und seine
wenigen überlebenden Getreuen von den Truppen ihres früheren Vebündeten
Francisco Ramírez geschlagen wurden. Dieser
zwang Artigas nach Paraguay ins Exil zu gehen, was jener am 5. September
1820 tat.
Ab 1819, als Artigas
schon wieder ein Verfolgter war, hatte sich auch die Beziehung zu
Melchora Cuenca notorisch verschlechtert. 1820 trennten sich die Wege
der beiden: Artigas ging ohne sie ins Exil nach Paraguay, und Melchora
flüchtete mit den beiden Kindern in die Sierra "Cuchilla
de Haedo",
da die Portugiesen ihren Sohn, den Sproß von Artigas, töten wollten.
Selbst in
ihrer extremen Not wies sie die Hilfe von Bernardina Fragoso zurück, der Frau von
Fructuoso Rivera. Außerdem hatte sie Zwistigkeiten mit Manuel Artigas.
Mit ihrer Tochter irrte sie durch Rio Grande do Sul (Brasilien) und Entre Ríos (Argentinien), immer auf der Flucht, während ihr Sohn Santiago
schließlich die Hilfe von Rivera annahm. 1829 heiratete Melchora José Cáceres
aus Entre Ríos. Einige Jahre später ertrank sie unter ungeklärten Umständen.
Artigas' politische
Biographie in Stichworten
-
15. 2. 1811: Artigas quittiert seinen Dienst als königlicher Offizier und
Stadtkommandant von Colonia.
-
18. 5. 1811: Sieg über die Spanier bei Las Piedras.
-
14. 10. 1811: Abbruch der ersten Belagerung Montevideos.
-
Anschließend: Strategischer Rückzug des ganzen Landvolks nach Ayui
("Exodo").
-
Ab Okt. 1812: Zweite Belagerung Montevideos durch die Argentinier, der sich Artigas anschloß.
-
Anfang 1813: Provisorische Regierung in der Stadt Canelones.
-
13. 4. 1813: Verabschiedung der artiguistischen Politikrichtlinien
("Instrucciones") auf einem Kongreß bei Tres Cruces.
-
Danach: Bruch mit Buenos Aires, deren Junta ein Kopfgeld auf Artigas
aussetzte.
-
20. 1. 1814: Artigas zieht sich von der zweiten Belagerung Montevideos
zurück.
-
Juni 1814: Argentinische Truppen unter General Rondeau erobern
Montevideo, die spanische Kolonialherrschaft am Río de la Plata ist zu
Ende.
-
10. 1. 1815: Unter Fructuoso Rivera erlangen die Artiguisten bei
Guayabos ihren entscheidenden Sieg über die Argentinier. Artigas
beherrscht nun das gesamte Hinterland des heutigen Uruguay und errichtet
seinen Regierungssitz in Villa de Purificación.
-
15. 2. 1815: Fernando Otorgués zieht als erster Statthalter von Artigas
in Montevideo ein.
-
Kurz nach seiner Machtübernahme führt Artigas im "Revolutionsjahr" 1815
grundlegende Reformen durch:
-
Vereinigung des heutigen Uruguay mit den argentinischen Provinzen
Misiones, Corrientes, Entre Ríos, Santa Fé und Córdoba, die traditionell
unter dem Zentralismus von Buenos Aires zu leiden hatten, zu einer
"Bundesliga" ("Liga Federal"; auch "Protektorat der Freien Völker"
genannt, "Protectorado de los Pueblos Libres").
-
Zollverordnung zum Schutz der Binnenproduktion der Liga.
-
Agrarreform und Enteignung der Latifundien unter dem Motto "Die
Unglücklichsten sollen die Meistbegünstigten sein" ("Que los más
infelices sean los más privilegiados").
-
1816 Abriß der Stadtmauern von Montevideo als Symbol der Befreiung.
-
Mit Billigung des Kongresses von Tucumán und Buenos Aires marschieren
brasilianisch-portugiesische Truppen nach Uruguay ein (Schlacht von
Carumbé, 27. 10. 1816).
-
Montevideo fällt am 20. 1. 1817, Uruguay wird als "Cisplatanische
Provinz" Brasilien einverleibt. Ende der zweijährigen Herrschaft von
Artigas.
-
22. 1. 1820: Endgültige Niederlage der Artiguisten bei Tacuarembó und
anschließender Zerfall der artiguistischen Liga.
-
5. 9. 1820: Artigas geht ins Exil nach Paraguay.
Exilant in Paraguay (1820-1850)
In Paraguay lebte Artigas
dreißig Jahre lang in ziemlicher Zurückgezogenheit bis zu seinem Tod,
ohne je wieder einen Fuß auf uruguayischen Boden zu setzen. Der
paraguayische Diktator Gaspar Rodriguez de Francia akzeptierte zwar
seinen "Gast", erlaubte diesem aber nicht nahe der Hauptstadt Asunción
zu wohnen, da er Artigas nach wie vor für einen 'gefährlichen
Revolutionär' hielt. Stattdessen schickte er ihn nach San Isidro de
Curuguaty, über 700 km nördlich von Asunción nahe der brasilianischen
Grenze, wohin sich Artigas nach dem 10. Januar 1821 begab, mit einer
monatlichen Pension der paraguayischen Regierung. Fast 25 Jahre lebte er
dort, von der Bevölkerung "Vater der Armen" ("Padre de los Pobres")
genannt, weil er seine Pension unter den Bedürftigen verteilte. Als
Rodriguez de Francia davon Wind bekam, wurde Artigas seine Unterstützung
gestrichen.
Nach dem Tod von Rodriguez de Francia gab dessen Nachfolger, Präsident
Carlos Antonio Lopez, Artigas 1845 ein Stück Land wenige Kilometer von
Asunción entfernt: die Chakra von Ibiray. Artigas nahm diese Einladung
an und verbrachte seine letzten fünf Lebensjahre hier, wober er gerne
unter einem schönen Gelben Jacaranda-Baum saß (Peltophorum dubium, span.
"Ibirá-pitá"), der seither im Volksmund "Artigasbaum" ("Arbol de
Artigas") genannt wird. Sein Hund hatte -wen überrascht es?- einen
Charrúa-Namen. Nach seinem Tod wurde er mit einem
Staatsbegräbnis auf dem Friedhof "La Recoleta" in Asunción beigesetzt.
Der Nationalheld, der lieber im Ausland blieb
Artigas hat die Banda Oriental
zusammengeführt. Er ist der Stifter der nationalen uruguaischen Identität
und auch der (als solcher meist vergessene) Staatsgründer Uruguays, der
zwei Jahre lang eine freie Republik in statu nascendi geführt und große
Schritte auf dem Weg zu einer regionalen Einigung unternommen und erreicht hat.
In sein Geburtsland Uruguay wollte
Artigas nicht mehr zurück. Warum auch? Seine ehemaligen Weggefährten
bekriegten sich inzwischen als "Colorados"
bzw. "Blancos";
das von ihm gewählte Volk, die Charrúas, war von der neuen
Elite des Landes massakriert worden, kaum daß das Land unabhängig
geworden war; seine Ideale waren von einer großen Koalition aus
Intoleranz, Egoismus, Haß und menschlicher Mediokrität liquidiert
worden.
Ideologischer
Selbstbedienungsladen
Obwohl José Artigas hier von allen
als oberster Nationalheld verehrt wird (mehr noch als Juan Antonio
Lavalleja, der "Befreier" Uruguays), sind seine sozialen Ideen heute
praktisch vergessen. Verehrt wird Artigas als "Vater der Unabhängigkeit"
des Landes. Er ist für
die Menschen hier
der uruguayische Wilhelm Tell, der
Simon Bolivar vom Río de la Plata, der es den Spaniern bei Las Piedras
mal kräftig gegeben hat, weil eben -und besonders in Lateinamerika- in
jedem Land anscheinend ein Nationalheld zur Identitätsstiftung gebraucht
wird. Er ist heute im Grunde nichts weiter als eine ikonenhafte Figur,
deren historische Realität sich im mythischen Nebel verflüchtigt - und
derer sich alle, aber wirklich alle politischen und gesellschaftlichen
Gruppierungen und Kräfte je nach Bedarf bedienen, Artigas zitierend oder
'interpretierend', wie es eben der jeweiligen
Interessenlage entspricht.
Die im uruguayischen
Alltagsbewußtsein existente Version der Geschichte von Artigas beginnt
mit Artigas' Eintritt in die Blandengues und endet mit
seinem Rückzug von der Belagerung Montevideos im Jahre 1814 -"wegen
politischer Differenzen und aus nicht ganz geklärten Motiven"-
bzw. mündet von dort direkt in sein angeblich selbstgewähltes Exil in Paraguay. Daß
er davor als Indio gelebt hatte, was hier keiner sein will; daß Artigas hier eine richtige
Revolution durchgeführt hat, die zerschlagen wurde; daß er von seinen
ehemaligen Weggefährten verraten wurde, ist im Bewußtsein
der meisten nicht
präsent.
Auf diese Weise wurde José Artigas
zum "guten Nationalhelden für alle"
- eine Art ideologischer Selbstbedienungsladen, in dem jeder gerne mal ins
Regal greift.
Foto: Reiterstandbild von José Gervasio Artigas
auf Montevideos Plaza
Independencia.
Das
Werk des italienischen Bildhauers
Angel Zanelli wurde 1924 aufgestellt. Darunter baute die
Militärdiktatur (1973-1985) Artigas ein monströses Mausoleum, eingeweiht am 19.
Juni 1977, in dem nichts ferner liegt als der Gedanke an die einfachen Leute,
die Indios und Gauchos, die Schwarzen und Mestizen, für die sich Artigas einst eingesetzt hatte.
Weiterführende Links:
Kommentar von Ralph, 20. Juni 2009:
@ José Artigas:
Hallo José
Alles Gute zum Geburtstag.
Ralph
@ Manfred:
Hi, der Artikel ist ZU gut und ZU ausführlich.
Du hättest aus jeder Lebensphase einen machen sollen!
Wo hast Du nur so viel über den Artigas gelesen?
Musst ja ein echter Fan sein.
LG Ralph
Antwort von Manfred, 20. Juni 2009:
Lieber Ralph,
vielleicht hast Du Recht. Aber ich denke, was zusammen gehört, das
gehört einfach zusammen. Wieso das Ganze aufsplitten, wenn man es in
einer Einheit präsentieren kann?
Es gibt noch sooo viele andere Themen über Uruguay, über die ich und
hoffentlich auch Andere hier noch schreiben werden. Rom wurde auch nicht
an einem Tag erbaut.
In diesem Sinne,
Manfred
PS: Ein "Fan" von José Artigas bin ich tatsächlich. Er war ja auch ein
absolut geiler Typ, ein Visionär und seiner Zeit um Jahrhunderte voraus,
obwohl er de facto praktisch ein Analphabet war. Er war ein Großer der
Menschheitsgeschichte, und ihm würde sehr wahrscheinlich angesichts all
der Statuen und offiziellen Schleimerei hier das Kotzen kommen.
Er war ein Mensch, und keine Ikone.
"Libertad o Muerte" - "Freiheit oder Tod"
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