Es ist kühler geworden in Uruguay. Damit meine ich nicht die Tatsache,
daß es hier jetzt Winter ist. Ich beziehe mich auch nicht etwa auf die geänderten
Einwanderungsbestimmungen (s. hier),
die künftige "Kooperation" mit ausländischen Finanzbehörden, die
bevorstehende Lockerung des Bankgeheimnisses und die steigende
Steuerbelastuntg (s. hier).
Das sind alles relative Kleinigkeiten, ebenso wie die kürzlich erfolgte
und in unserem Forum diskutierte Änderung der Modalitäten zur Eröffnung
eines Bankkontos (s. hier).
Bild: Mit dem Arsch auf Grundeis.
Nicht vergessen sollte man in diesem Kontext auch noch die Tatsache, daß man seit einiger Zeit v.a. in der Staatsbank BROU "Nachweise" erbringen muß, daß das Geld einem rechtmäßig gehört, wenn man Überweisungen von 10.000 USD oder mehr auf sein Konto erhält. (In einigen Filialen können solche "Nachweise" schon ab 3.000 USD gefordert werden. Die Privatbanken sind hier kulanter, sofern man es schafft bei einer solchen ein Konto zu eröffnen.)
All diese Dinge sind lästig und summieren sich, aber darum geht es hier nicht.
Weniger Arbeit und steigende Preise
Das Wesentliche ist, daß Uruguay und die Uruguayer ärmer geworden sind. In Montevideo sieht man, wenn man früh morgens im Zentrum oder in der Altstadt unterwegs ist, deutlich mehr Obdachlose auf den Straßen liegen als noch vor einem Jahr. In der Altstadt kann man sich praktisch in kein Restaurant mehr setzen, zumindest nicht im Freien, ohne mit bettelnden Kindern konfrontiert zu werden.
Praktisch alle meine uruguayischen Bekannten klagen über Geldknappheit, um nicht zu sagen sie pfeifen aus dem letzten oder zumindest dem vorletzten Loch, ob das nun die Übersetzerin ist, die in einem schicken Viertel von Montevideo wohnt (und damit zumindest früher einmal gut gestellt war), der Automechaniker, der früher immer gut zu tun hatte und jetzt oft kein Auto in seinem Hof stehen hat (einmal abgesehen davon, daß ihm kürzlich eine Inspektion des Finanzamts (DGI) auf den Pelz rückte und ihm eine Strafe von 150.000 Pesos aufbrummte), der Notar oder meine Freunde. Mein bester Freund machte vor rund einer Woche seine Reifenreparatur-Werkstatt zu, weil sie ihm Verluste bescherte...
Arbeit scheint es immer weniger zu geben, die Geschäfte scheinen immer weniger gut zu laufen. "Es zirkuliert kein Geld auf der Straße, die Leute sind blank." Das ist das Feeling. In den kleinen Lebensmittelgeschäften und Kiosken wird immer mehr angeschrieben (bzw. diese Praxis wieder eingestellt, weil die Leute nicht zahlen können). Kleinkreditverleiher wie FUCAC, Microfilm und Creditel haben Hochkonjunktur, und an unserem lokalen Supermarkt in El Pinar, "La Cabaña", hängt seit neuestem ein Schild mit der Aufschrift (sinngemäß): "Sie brauchen Geld? Bitte erkundigen Sie sich an den Kassen." Das wird schon seinen Grund haben...
Ein weiteres Anzeichen für die Verarmung: Bis vor kurzem haben alle öffentlichen Versorgungsunternehmen -ANTEL (Telephon und Internet), UTE (Strom) und OSE (Trinkwasser)- die Versorgung abgeklemmt, wenn ein Haushalt zwei Monate mit den Zahlungen im Rückstand war. OSE hat diese Frist unlängst auf acht Monate erweitert, und das sicher nicht aus reinem Gutmenschentum. Vermutlich wäre andernfalls ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung ohne Wasserversorgung.
UTE kappt zwar den Strom immer noch nach zwei Monaten, aber nur in der Theorie. In der Praxis rücken die Stromabklemmer erst einige Wochen nach dem Fälligkeitsdatum der zweiten Rechnung aus, und die Möglichkeiten eine Ratenzahlung ("Convenio") mit dem Unternehmen zu vereinbaren wurden erheblich erweitert - wohl auch nicht zufällig.
Am gnadenlosesten ist noch ANTEL, wo Computer automatisch 48 Stunden nach Ablauf der Zahlungsfrist die Verbindungen blockieren (ausgehende Anrufe, nach einem weiteren Monat auch die eingehenden). Aus ANTEL-Kreisen hört man, daß das "System" mit dem Unterbrechen der Verbindungen teilweise "überlastet" sei...
Schöne neue Welt?
Das offizielle Uruguaybild sieht natürlich anders aus. Danach gibt es ein kräftiges Wirtschaftswachstum (s. z.B. hier) bei sinkender Armut (s. z.B. hier) und abnehmenden Eigentumsdelikten (s. z.B. hier).
Die Volkswirtschaft insgesamt mag ja durchaus wachsen. Exporteure, Banken und einige Großunternehmen wie die Zellulosefabrik bei Fray Bentos mögen satte Gewinne einfahren, aber dieses Geld sickert nicht bis zur Bevölkerung durch.
Und zudem wird alles teurer. Während man vor etwa drei Jahren den Wagen im Supermarkt mit 1.000 Pesos gut voll machen konnte, muß man da jetzt mit 500 oder besser 800 Pesos mehr rechnen. Vielerorts, wo man vor drei Jahren noch für 200 Pesos gut und reichlich Essen gehen konnte, muß man jetzt das Dreifache hinlegen. (Es gibt natürlich immer noch billige und gute Plätzchen, aber...)
Auch die Euro-Krise wirft ihre Schatten
Was zwar nicht den Uruguayern, dafür aber potentiellen oder tatsächlichen Uruguay-Einwanderern aus Europa in die Quere kommt, ist der fallende Wechselkurs des Euro. Während man hier vor etwa sieben Jahren noch fast 37 Pesos für einen Euro bekam, erhält man jetzt mit Glück 25. Das ist ein gewaltiger Verlust, der noch dadurch verschärft wird, daß die Preise in Pesos steigen.
Für so Manchen stimmen die angestellten Berechnungen nicht mehr. "Wenn das so weitergeht, müssen wir wieder zurück nach Europa", hört man immer öfter, oder: "Wir müssen unsere Einwanderung nach Uruguay erst einmal verschieben. Im Moment können wir uns das nicht leisten."
Alternativen?
Anderswo sind die Verhältnisse auch nicht besser geworden, eher das Gegenteil ist der Fall. Viele Alternativen sind schon allein aus dem Grund nicht in Sicht, weil man in die meisten Länder überhaupt nicht einwandern kann oder diese andere Probleme haben...
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