Wer meint Deutschland, England, Italien oder Spanien seien fußballfanatische Nationen, muß das ein wenig revidieren, denn was schon im Vorfeld der WM hier in Uruguay abgeht, setzt neue Maßstäbe. Da kommen vielleicht nur noch Argentinien und Brasilien mit, wenn überhaupt.
Uruguay war das letzte Team, das sich für die Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika qualifiziert hat (s. Uruguay-Magazin v. 19. 11. 2009), und ist in der Gruppe A gelandet, zusammen mit Frankreich, Mexiko und dem Gastgeberland Südafrika.
Foto: Torjäger Diego Forlán, uruguayischer Hoffnungsträger für die Fußballweltmeisterschaft Südafrika 2010.
Übermorgen, am ersten Spieltag der 19. Fußball-WM, wird Uruguay das
zweite Spiel dieses Worldcups bestreiten, und zwar gegen Frankreich.
Alle hier prognostizieren einen Sieg des Equipo Celeste von 2:0 oder
2:1, inklusive Astrologen, die solches im Fernsehen live aus den Sternen
lesen.
Das in Kapstadt ausgetragene Match beginnt um 15.30 Uhr Ortszeit
Uruguay, aber schon ab 9.00 Uhr morgens wird der renommierte Canal 12
(Teledoce) live aus Südafrika berichten, natürlich auch um das
WM-Eröffnungsspiel Südafrika gegen Mexiko aus dem Johannesburger
Soccer-City-Stadion zu übertragen (Beginn: 11.00 Uhr Ortszeit Uruguay).
Spätestens ab 14.00 Uhr werden die Straßen hier wie leergefegt sein,
denn: "Wir spielen um unser Leben!", so das allgemeine Feeling,
wiedergegeben auch durch TV-Kommentatoren.
Canal 12 hat nicht nur ein Fernsehteam nach Südafrika geschickt, auch
nicht zwei, sondern drei. In den anderen TV-Anstalten dürfte es ähnlich
aussehen, die Reporter der Zeitungen nicht zu vergessen. Auch das läßt
erahnen, um was für ein Hypermegaereignis es sich für die Uruguayos
handelt und was fernsehmäßig auf die Nation zukommt.
Ach ja, für die Probleme, die es in Südafrika gibt, ist in dem ganzen
bunten TV-Rummel
natürlich kein Platz. Für die WM ist Südafrika einfach ein Land
mit einer großartigen Tierwelt, wunderbaren Landschaften und Naturparks,
einer "Vielfalt von Kulturen und Traditionen", interessanten Menschen,
einem herrlichen Klima und
viel Schönem mehr...
Die uruguayische Nationalmannschaft
Bild: Die uruguayische Nationalelf - mit Nachwuchs für die WM 2030?
Hintere Reihe v.l.n.r.: Diego Forlán (10), Fernando Muslera (1), Sebastián Eguren (8), Diego Lugano (2), Diego Godín (3). Vordere Reihe v.l.n.r.: Alvaro Pereira (11), Mauricio
Victorino (6), Diego Pérez (15), Maximiliano Pereira (16), Luis Suárez (9), Ignacio González (18, mit Nachwuchs).
Im 23köpfigen Team von Nationaltreiner Oscar Washington Tabárez sind
folgende Spieler, inklusive Auswechselspieler:
Torhüter:
Fernando "El Nene" Muslera, Juan Castillo und Martín Silva
Verteidiger:
Diego "La Tota" Lugano (Mannschaftskapitän), Diego Godín, Mauricio
Victorino, Maximiliano "El Mono" Pereira, Andrés Scotti, Jorge Fucile,
Martín "El Pelado" Cáceres
Mittelfeldspieler:
Egidio Arévalo, Alvaro "El Palito" Pereira, Ignacio "Nacho"
González, Diego "El Ruso" Pérez, Nicolás Lodeiro, Sebastián Eguren,
Walter Gargano, Alvaro Fernández
Stürmer:
Diego Forlán, Luis "El Toto" Suárez, Sebastián "El Loco" Abreu,
Edinson "El Matador" Cavani, Sebastián Fernández
Delirante Werbeschlachten
Bevor die uruguayische Nationalmannschaft am Freitag, den 4. Juni, mit
fünfstündiger Verspätung gegen 24.00 Uhr Ortszeit endlich nach
Johannesburg starten konnte, um von dort in ihr Camp in Kimberley zu
gelangen, hatten hier wochenlang unglaubliche Werbeschlachten
stattgefunden. Alle möglichen Firmen mit allen möglichen Produkten
verlosten Flugreisen an's Kap der Guten Hoffnung, die man per
SMS-Lotterie oder durch das Einsenden von Coupons, die auf den Packungen
waren, gewinnen konnte. Und wenn es irgendwie möglich war, waren die
Werbespots voll mit Fußball-Bildern und/oder protagonisiert von
bekannten Kickern.
Insbesondere Fernsehgeräte-Verkäufer witterten ihre große Chance. Vom
Einkaufszentrum Géant bis Vía Confort, von James bis XY standen alle auf
der Matte und boten hochauflösende LCD-Breitbildgeräte an. Ebenso
hatten private Kabelfernsehfirmen Werbehochkonjunktur, und Geldverleiher
offerierten Kleinkredite für den Erwerb von neuen HD-Mattscheiben,
rückzahlbar in bis zu 36 Raten.
Ein besonders sinniger und für Uruguay typischer Werbespot war der des
Kabel-TV-Anbieters "Nuevo Siglo". Eine sonore Männerstimme gemahnte hier
daran, daß "unsere Kinder", die doch Facebook, MP3 und andere moderne
Errungenschaften kennen würden, Uruguay noch nie in einem
Fußball-Worldcup gesehen hätten, um dann zu versprechen: "In wenigen
Tagen wird sich ihr Leben ändern" - natürlich nur dann, wenn Papi noch
rechtzeitig Nuevo Siglo und seine WM-Coverage in's Haus holt.
Nachdenklich endet der Commercial mit dem zum Kauf drängenden Satz: "Die
Weltmeisterschaft - eine Geschichte, die uns nur alle acht oder zwölf
Jahre passiert."
Video: Werbespot von Nuevo Siglo anläßlich der Fußball-WM Südafrika
2010.
Leben = Fußball + Fernsehen?
Zwei weiter Werbesports, die den allgemeinen Bewußtseinsstand ziemlich
auf den Punkt bringen, möchte ich den Lesern hier nicht vorenthalten:
Der erste (vom Kartoffelchips-Hersteller "Lays") zeigt eine Gruppe von
Freunden, die auf einem Sofa sitzend und natürlich die Chips der Firma
essend ein Fußballspiel im Fernsehen verfolgen. Dann schießt Uruguay ein
Tor. Die Jungs springen wie elektrisiert auf, holen uruguayische
Fähnchen hervor und beginnen "Gol, Gol Uruguay" brüllend in der Wohnung
zu randalieren. Botschaft aus dem Off: "Hoffentlich mangelt es uns nie
an guten Freunden, die eine Wohnung nicht von einem Stadion
unterscheiden können."
Der zweite Commercial (für das Privat-TV-Paket "Movie City Pack") trifft
die allgemeine Bewußtseinslage noch besser. Nach einschlägigen
Fußball-Bildsequenzen sind die Worte zu hören: "Das Leben besteht nicht
nur aus Fußball. Es besteht auch aus Fernsehen!!"
Ich will ja nicht ketzerisch sein, aber sind wir nach einer halben
Million Jahre Menschheitsgeschichte, rund dreitausend Jahre nach der
Entstehung der ersten Vedischen Texte, zweieinhalbtausend Jahre nach
Konfuzius im orientalischen bzw. Sokrates im abendländischen Kuturraum
und vierhundert Jahre nach Beginn der sog. Aufklärung nicht weiter
gekommen?
Leben = Fußball + Fernsehen?
Forlán, Suárez, Abreu & Tabárez: Hoffnungsträger der Nation
Uruguays wohl größter Hoffnungsträger für Südafrika 2010 ist der
Starkicker Diego Forlán (s. obiges Foto). Der vor kurzem 31 Jahre
alt gewordene gebürtige Montevideaner stammt aus einer
Fußballerfamilie. Auch sein Vater war uruguayischer Nationalspieler, und
sein Großvater sowie zwei seiner Onkel waren Profifußballer bei
Atlético Independiente in Argentinien.
Nachdem er zuerst als Tennisspieler aktiv war, begann Forlán 1997
seine Fußballkarriere im Club Atlético Peñarol. Nach einem kurzen
Zwischenspiel bei Danubio wechselte der oft mit Jürgen Klinsmann
verglichene Stürmer dann 1998 in die argentinische Liga zum Club
Atlético Independiente. Dort spielte er bis Dezember 2001 und erzielte
insgesamt 37 Tore, davon 12 in den letzten 18 Spielen.
Am 22. Januar 2002 unterschrieb Forlán für 6,9 Millionen Pfund einen
Vertrag bei Manchester United, mit dem er in seiner ersten Saison 2002/03 den englischen
Meistertitel holte.
2004 wechselte Forlán zum FC Villarreal in die spanische Liga. Mit 25
Toren in 38 Spielen wurde er in der Saison 2004/05 spanischer
Torschützenkönig und gewann den Goldenen Schuh als bester Torjäger
Europas (zusammen mit Thierry Henry).
Im Sommer 2007 ging Forlán für 21 Millionen Euro zum spanischen
Erstligisten Atlético Madrid. In der Saison 2008/09 wurde er mit 32
Toren erneut spanischer Torschützenkönig und sicherte sich zum zweiten
Mal den Goldenen Schuh.
Im Finale der UEFA Europa League 2009/10 gegen den FC Fulham erzielte
Forlán beide Tore für Atlético Madrid, der nach Verlängerung mit 2:1
gewann.
Video: Alle 32 Tore von Diego Forlán in der spanischen Liga während der
Saison 2008/09.
Foto: Schöne Fußballerbraut: Diego Forláns Freundin, Zaira Nara (21),
ein argentinisches Fotomodell. Welches Team sie wohl bei der WM
unterstützen wird?
Diego Forláns Partner im uruguayischen Sturm ist der 23jährige, aus
Salto stammende Luis Suárez. Seinen Einstand als Profifußballer
hatte er vor fünf Jahren im notorischen Club Nacional de Football
(Montevideo).
Für die Saison 2007/08 wechselte der feurige Stürmer für 7,5 Mio. Euro
zu Ajax Amsterdam, wo er bis heute spielt. Aktuell ist Suárez Torschützenkönig der niederländischen Liga!
Foto: Luis Suárez, einer der Torjäger der
uruguayischen
Fußball-Nationalmannschaft.
Sebastián Abreu (33)
ist ein weiterer großer uruguayischer Hoffnungsträger. Seinen Spitznamen
"El Loco" ("der Verrückte") verdankt er den Travesuren, die er mit dem
Ball und auf dem Spielfeld macht. In Minas geboren, hat der
Publikumsliebling bisher in 17 Vereinen gespielt, verteilt auf sieben
Länder: Uruguay, Argentinien, Spanien, Brasilien, Mexiko, Israel und
Griechenland.
Sein Debut hatte der Stürmer 1994 beim uruguayischen Erstligisten
Defensor Sporting, derzeit ist er beim brasilianischen Club Botafogo
unter Vertrag. In Uruguay spielte er noch im Club Nacional de Football.
In Argentinien kickte er für San Lorenzo und River Plate, in Spanien für
La Coruña und Real Sociedad, in Brasilien außerdem für Gremio. In
Mexiko trat Abreu u.a. an für die Dorados, Monterrey und San Luis. In
Israel spielte für Beitar Jerusalem, und in Griechenland für Aris
Salonica.
"El Loco" kann auf 57 Länderspiele zurückblicken. Auch seine Torbilanz
ist beachtlich: Bis zum Beginn der WM 2010 traf er 30 Mal für die uruguayische Nationalmannschaft in's
Netz und 236 Mal für seine diversen Fußballvereine.
Video: Die 22 Tore von Sebastián "El Loco" Abreu für die Dorados
(Mexiko) während
der Saison 2005/06.
Der 23jährige, ebenfalls in Salto geborene Edinson Cavani ist
ein weiteres, vielversprechendes Fußballtalent, das erstmals in der uruguayischen
Nationalauswahl Sub-20 Aufsehen erregt hatte.
Sein fußballerisches Profidebut hatte er 2006 beim uruguayischen
Erstligisten Danubio. Seit 2007 ist der unbändige "El Matador" genannte
Stürmer beim italienischen Palermo unter Vertrag.
Foto: Edinson Cavani, einer der
meisttalentierten Nachwuchsspieler der uruguayischen
Fußball-Nationalmannschaft.
Ein weiterer Hoffnungsträger für Uruguay ist der Trainer der
Nationalmannschaft, Oscar Washington Tabárez (* 1947), der seit
2006 der Selección Celeste vorsteht und schon von 1988 bis 1990
uruguayischer Fußball-Nationaltrainer war. Als Trainer begann der
Ex-Fußballer bereits 1980 zu arbeiten.
Foto: Oscar Washington Tabárez, Coach der
uruguayischen Fußball-Nationalmannschaft.
Statistisches / Historisches
Uruguay richtete 1930 die erste Fußballweltmeisterschaft aus. Dafür war
das Estadio Centenario in Montevideo gebaut worden.
Uruguay hat bisher an 10 Fußball-WMs teilgenommen (zuletzt 2002) und
davon 2 gewonnen, nämlich die Weltmeisterschaften von 1930, wo die
Gastgeber im Endspiel Argentinien mit 4:2 besiegten, und 1950,
ausgetragen in Brasilien, wo Uruguay überraschend im Finale im neuen
Maracanã-Stadion von Río de Janeiro 2:1 über die Nationalelf des
Gastgeberlandes triumphierte, nach einem Rückstand von 0:1!
Foto: Die uruguayischen Fußballweltmeister von
1930.
Die anderen Worldcups wurden gewonnen von: Brasilien: 5 WM-Titel,
Italien: 4, Deutschland: 3, Argentinien: 2, England: 1, Frankreich:
1.
Video: Der "Maracanazo", das "Teufelsstück von Maracanã", wie der
Überraschungssieg der uruguayischen Kicker gegen die hoch favorisierten
brasilianischen Rivalen noch heute voller Anerkennung genannt wird. Die
Tore für Uruguay schossen Juan Alberto Schiaffino in der 66. und Alcides
Ghiggia in der 79. Spielminute.
Eine achtminütige Dokumentation auf Englisch
über die Fußball-WM von 1950 und deren denkwürdiges Finale vom 16. Juli.
(In den Spielen der Weltmeisterschaften, an denen Uruguay teilnahm,
aber nicht den Titel gewann (wie 1930 und 1950), schossen die Celestes
nur ein einziges Tor! Das Spiel gegen Frankreich wird also auf jeden
Fall
entscheidend sein!)
Außerdem nahm Uruguay an 40 Amerika-Cups ("Copa América") teil, erstmals
ausgetragen 1916, und wurde 14mal Amerikanischer Meister (1916, 1917,
1920, 1923, 1924, 1926, 1935, 1942, 1956, 1959, 1967, 1983, 1987 und
1995).
Zweimal wurde Uruguay auch Fußball-Olympiasieger, und zwar bei den
Olympischen Spielen von 1924 in Paris und 1928 in Amsterdam.
"Nací Celeste"
Um das Bild abzurunden, darf dieses Lied bzw. dieser Videoclip hier auf
keinen Fall fehlen: "Nací Celeste" ("Ich bin hellblau von Geburt";
Hellblau ist die Nationalfarbe Uruguays und natürlich auch die Farbe der
Fußball-Nationalmannschaft). Gespielt von der beliebten uruguayischen
Rockgruppe mit dem paradoxen Namen "No Te Va Gustar" ("Es wird Dir nicht
gefallen"), hat sich der Song zur inoffiziellen Hymne des uruguayischen
Fußballs und zur heimlichen
Nationalhyme des ganzen Landes gemausert (s. auch "Musik
aus Uruguay").
Das Lied und der Videoclip -eigentlich ein Werbespot der Biermarke
Pilsen, offizieller Sponsor der uruguayischen
Fußball-Nationalmannschaft- geben wie kaum etwas Anderes den
uruguayischen Nationalstolz, die Fußballbegeisterung und das hiesige
Lebensgefühl wieder.
Selbstverständlich ist der Song auch jetzt, im Vorfeld von Südafrika
2010, hier allgegenwärtig.
Video: "Nací Celeste", der Werbeclip der hiesigen Biermarke Pilsen, der
sich zur heimlichen Nationalhymne Uruguays entwickelte.
Uruguay no máaaas!
Das Uruguay-Magazin wünscht der uruguayischen Nationalmannschaft in
Südafrika 2010 viel Glück und Erfolg! Wir werden die Spiele aufmerksam
verfolgen und hier darüber berichten - und hoffentlich gibt es am Schluß
einen richtig fetten Grund zum Gratulieren und Feiern!